Text – Der Absatz

Ein Ausschnitt aus dem Film auf der Leinwand des Lebens

Zu oft war der Wecker schon gegen die Wand geflogen, als das er noch richtig klingeln konnte. Es war eher ein mechanisches Rattern, das mich jeden Morgen weckte. Mit einer eingeübten Handbewegung packte ich den Wecker und warf ihn gegen die Wand. Normalerweise prallte er gegen die Wand, fiel auf den Boden und ratterte weiter, sodass ich aufstehen musste, um ihn auszumachen. Doch heute ging er tatsächlich aus, als sich die Wand in seine Flugbahn stellte. Aus diesem Grund kam ich heute zu spät zur Arbeit.

Ich muss mir einen neuen Wecker kaufen.
Meine Gedanken dachten nicht daran, an Arbeiten zu denken. Sie dachten an den kaputten Wecker. Als dieser noch ganz war, hatte ich nie an ihn gedacht, oder gar über ihn nachgedacht. Mit krummen Rücken saß ich an meinem Schreibtisch, meine Gedanken dachten an den Wecker und meine Augen sahen durch das Fenster nach draußen. Es regnete. Das heißt, es regnet immer noch. Doch es regnete auch zu dem Zeitpunkt, als ich aus dem Fenster sah.
So ein Pisswetter. Das macht so depressiv.
Obwohl ich die ganze Zeit hier drin sitze. Wenn die Sonne scheinen würde, würde ich denken:
Draußen ist so schönes Wetter und ich muss hier drin sitzen.

Ich beschloss, meinem eigenen Teufelskreis zu entfliehen. In der ersten Pause zog ich meinen Mantel an und ging. Zumindest bis vor die Tür. Dort standen die Raucher. Ich nickte ihnen zu. Ich wusste gar nicht wo ich hinwollte.
Immer einen Schritt vor den anderen setzen. So komme ich an jedes Ziel.
So ging ich unter dem Dach hervor und trat in den Regen. Ich wollte in den Himmel gucken, doch der Regen fiel mir in die Augen und machte es unmöglich, nach oben zu sehen. Also sah ich meinen Füßen bei den Schritten zu. Wenn man lange genug läuft und dabei nur auf seine Oberschenkel guckt, sieht es irgendwann so aus, als ob man schweben würde. Wenn nichts im Weg steht. Ich stand plötzlich vor einem Eispavillion.
Tu was Verrücktes.

Ich saß im Regen auf der Bank am Fluss und leckte an meinem Eis. Schoko und Banane.
Eigentlich würde ich jetzt vor meinem Computer sitzen und Kalkulationen durchführen.
Jetzt dachte ich an Arbeit! An meine tägliche monotone Arbeit, fünf Tage die Woche, von sieben bis fünf. Ein unendliches Herunterleiern von Zahlen. Ohne Pause.

Und dann stand jemand auf und warf einen Schatten auf die Leinwand, auf die der Film des Lebens projiziert wurde. Buh-Rufe wurden laut. Popcorn flog von den oberen Reihen und traf Unschuldige am Hinterkopf. Der Schattenwerfer hob entschuldigend die Hände und wurde eins mit der Dunkelheit an den Seitengängen, die nur von den Notausgangsschildern beleuchtet wurde.

Da die Bank schon nass gewesen war, als ich mich gesetzt hatte, war mein Hinterteil nun feucht. Mit nassen Streifen auf meinem Po ging ich durch die Stadt. Meine Blase meldete sich. In gewisser Weise war ich froh drum. Nun wusste ich wohin es mich zieht. Am Bahnhof gibt es bestimmt Klos.
Was habe ich davon, dass ich den ganzen Tag arbeite?
Mit nassen Klamotten und dem dringlichen Gefühl, aufs Klo zu müssen, stand ich im Regen vor dem Bahnhof. Das Klo war ‚wegen Randale vorübergehend geschlossen’. In das Restaurant gegenüber traute ich mich nicht.
Warum habe ich Angst vor einem Nein? Es gar nicht zu Probieren führt doch zu dem gleichen Ergebnis.

Besonders die hinteren Reihen leerten sich zusehends. Eine Unruhe erfasste die Menschen im Lichtspielsaal.

Ein Fastfoodrestaurant diente mir dann als Ablassstelle für meine Blase.
Tu etwas, was du sonst nie tust.
Ich hatte vergessen, warum ich nie in solchen Restaurants aß. Ich kam mir hier immer so alleine vor. Als ich bezahlt hatte, stellte mir die Frau einen kleinen roten Wecker auf das Tablett. Eine kleine Zugabe zum Menü. Nachdem ich gegessen hatte, nahm ich das Tablett, ging zu dem Wägelchen, sah dann die Bedienstete, die aufräumte, stellte das Tablett auf den nächsten Tisch und verlies den Laden.
Meine Hose war zumindest hinten wieder einigermaßen trocken. Der Regen verhinderte, dass der Rest von mir trocknete. Es war heute nie richtig hell gewesen. Die Sonne wollte heute nicht in meine Stadt schauen. Also, ich meine in die Stadt in der ich wohne. Langsam wurde es dennoch dunkler.
Mein Auto steht noch vor der Firma.

Zuhause angekommen, legte ich meinen Anzug mit den Schuhen in die Badewanne, um sie einzuweichen und zu putzen. Als alles über dem Wäscheständer hing machte ich mich bettfertig und legte mich hin. Ich lag da, meine Augen schauten in die Dunkelheit.
Was habe ich heute getan?
Nichts.
Ein verschwendeter Tag.
Nein. Der heutige Tag war ein Absatz im Text meines Lebens. Eine Pause im endlosen herunterleiern. Eine Auflockerung meiner Selbst.

Ein Fade-Out, dann schließt sich der Vorhang und das Licht geht an.
Murmelnd verlassen die Zuschauer den Raum. Der Filmvorführer winkt ihnen zu. Der Film hat ihnen nicht gefallen.
Es ist nichts passiert.

Doch im Grunde sie nicht gestört, das nichts passiert ist. Zumindest nicht primär.
Gestört hat sie, das sie sich an sich selbst erinnert gefühlt hatten. Alles, was sie heute gesehen hatten, kannten sie aus ihrem eigenen Leben. Und was sie gesehen hatten, war alles andere als spannend gewesen.

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