Text – Unhörbare Melodie

Wenn wir hören könten, Tag für Tag.

Die gesamte Stadt ist eine Baustelle. Überall stehen Kräne, Umleitungsschilder und Bagger herum. Die Sonne kämpft sich ihren Weg durch die Staubwolken, provisorische Holzzäune weisen den Menschen den neuen Weg. In den Gräben und aufgebrochenen Straßen sammelt sich das Wasser, das vom Himmel kommt, den man nur noch aus den oberen Stockwerken der Häuser sieht. Stahlstangen ragen aus der Erde und aus halbfertigen Gebäuden, wie lange dürre Finger, die sich recken nach dem was einmal war, bevor wir hier waren. Leitern schauen aus Löchern und vergessene Arbeitsjacken und Handschuhe zieren die Wege und Gänge. Die Welt wird beherscht von dunklen Farben. Das Grau des Betons, das Schwarz des Asphalts, das Rostrot der Metallstangen und das dreckige Gelb der Bagger und Kräne. Unterstützt werden diese Farben von lauten unschönen Tönen, das Rumoren des Presslufthammers, die Schreie der Vorarbeiter, das Hupen der wartenden Autos und natürlich das Gemecker der Menschen.

Ein Mädchen mit den bunten Strähnen in den schwarzen Haaren regt sich wieder einmal über den durch eine Baustelle verlängerten Schulweg auf, während sie mit ihren neuen Schuhen durch ein Meer von Schlammpfützen watet. Eine Geschäftsfrau streicht sich mit dem kleinen Finger die blonden Haare aus dem Gesicht und trommelt nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad des Firmenwagens herum, während sie darauf wartet, dass die provisorische Ampel auf Grün schaltet. Ein Mann mit dem Seitenscheitel bläst sich den Rauch aus dem Gesicht, während er einem Vorarbeiter mit gelbem Helm zuhört, obwohl ihn die Anweisungen überhaupt nichts angehen.
Und mittendrin in diesem wohlbekannten, aber unbeliebten Umfeld, befindet sich ein Wesen aus einer komplett anderen Welt. Ihre lockigen braunen Haare kräuseln sich um ihren Kopf. Ein buntes Kleid, ein letzter Widerstand gegen die graue Welt ziert ihren Körper, der sich graziös zu einer für uns unhörbaren Melodie bewegt. Und obwohl wir nur die geschlossenen Augen sehen und die Hände, die sich um ihren Körper bewegen und die Haare, die sich in stiller Übereinkunft mitbewegen und die Farben, die im letzten Rest der Sonne schillern und wir überhaupt nichts ausser dem alltäglichen Lärm der Baustelle hören, würden wir plötzlich fühlen können, zu welch einer wunderhübschen Melodie das Wesen tanzt und sich bewegt. Einer Melodie, so groß und offen, dass die Geräusche, die uns gerade noch wie Lärm in den Ohren lagen plötzlich harmonisch zueinander klingen und zu dieser Melodie zu gehören scheinen. Das Wesen tanzt und was wir gerade noch als hässliche Baustelle gesehen haben, wird zur Bühne, zu Brettern die wir Welt nennen. Alles hat dort seinen Platz und würde etwas fehlen, so würde es fehlen. Das Wesen bewegt sich und macht aus dem alltäglichem etwas erfahrenswertes.
Und würde uns plötzlich die Sonne blenden, so wäre das Wesen fort. Was bliebe, wäre die Erinnerung. In der herumliegenden Leiter sähen wir nun einen Laufsteg und jedes Hammerklopfen wäre ein Teil der unhörbaren Melodie. Und so würden wir durch unsere Welt schreiten und sie nun mit den Augen sehen, die wir unter den geschlossenen Lidern des Wesens nur erahnen konnten.

Das alles geschieht überall auf unserer Erde, auf jeder Baustelle einer Stadt, doch meistens übersehen wir das tanzende Wesen mit ihrer unsichbaren Melodie und so bleibt uns nur das Grau des Betons, das dreckige Gelb der Bagger und Kräne, das Rumoren des Presslufthammers und natürlich das Gemecker von uns Menschen.

Leserkommentare gibt es unter anderem auf neon.de

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Kommentare

  1. Avatar von Jan

    Sehr schöner Text. Der passt genau zur Stimmung der Menschen gerade, glaube ich.
    Mehr davon.

  2. Avatar von kasumi

    Ist dir so ein Wesen mal begegnet? Mir Begegnen sie oft.
    Ich weiß warum dich meine Worte hierran erinnern.
    Das ist wunderschön. ich habe die ganze situation vor augen.
    Danke! du hast mich verzaubert.

    1. Avatar von faby
      faby

      Gerne 🙂 Freut mich, dass es dir gefällt! Vielleicht gefallen dir auch ein paar der anderen. Soll ich noch ein paar Vorschläge machen?

  3. Avatar von nisa

    wow… das ist echt schön :/
    ich dank dir dafür…

    1. Avatar von faby
      faby

      freut mich sehr, dass dir meine geschichte gefällt! ich hab dir zu danken…

  4. Avatar von kasumi

    Sowas wie ein Trackback: http://die-chaosmacherin.blogspot.com/2009/08/blogparade-der-weltbesten-blogartikel.html

    ps: Oh nisa hat kommentiert =) sie ist das mädchen an das mich deine unhörbare melodie erinnert..

  5. […] der Blogparade “Weltbester Blogartikel” ist meine Geschichte “Unhörbare Melodie” im Halbfinale gelandet. Zusammen mit 77 anderen Artikeln. Jetzt kann man voten, welchen […]

  6. […] die mich mitreißen, mich zum weinen oder lächeln bringen. Das beste Beispiel ist wohl “Unhörbare Melodie“. Ich wurde ihn gern mal im wahren Leben treffen […]

  7. […] richtig, ich wurde grade verzaubert. Von Faby und seinem Text “Unhörbare Melodie”. Unweigerlich erinnert mich dieser Text an Eike und wie sehr ich ihn vermisse. Das unbekannte Wesen […]

  8. Avatar von Songline

    Jetzt erst entdeckt, aber der Text ist so zeitlos, dass man sich jederzeit davon verzaubern lassen kann. Sehr schön!

  9. Avatar von faby
    faby

    Danke 🙂

  10. […] interviewt jeden Teilnehmer mit drei kurzen fragen, bevor er auf die Bühne darf. Ich lese “Unhörbare Melodie“. Nachdem alle sechs Slammer dran waren, klatscht das Publikum Birk und mich ins […]

  11. […] “[…] Das alles geschieht überall auf unserer Erde, auf jeder Baustelle einer Stadt, doch meistens übersehen wir das tanzende Wesen mit ihrer unsichbaren Melodie und so bleibt uns nur das Grau des Betons, das dreckige Gelb der Bagger und Kräne, das Rumoren des Presslufthammers und natürlich das Gemecker von uns Menschen.” (Faby – Unhörbare Melodie) […]

  12. […] richtig, ich wurde grade verzaubert. Von Faby und seinem Text “Unhörbare Melodie”. Unweigerlich erinnert mich dieser Text an Eike und wie sehr ich ihn vermisse. Das unbekannte Wesen […]

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