Text: Filmvorführer.

Gestern noch flehte ich den Tod an, mich zu besuchen und mitzunehmen und jetzt verabschiede ich mich von ihm.
Viele Stunden habe ich in der Kälte auf ihn gewartet und er hat mich versetzt. Statt dem Mann mit Kutte und Sense erschien ein Mädchen auf dem Pfad. „Guten Abend, lieber Freund.“
Langsam hob ich den Kopf.
„Verzeiht Mädel, aber ich glaube, ihr irrt. Ich bin niemandes Freund. Ich bin einsamer Gesell.“
Das Mädchen lächelte mich an und in diesem Moment raubte es mir die Luft, so schön erschien sie mir. Die Haare und die Augen, so schwarz wie Ebenholz. Ihre Haut strahlte so weiß, dass es schien ihre Knochen würden hindurchscheinen. Ihre Worte holten mich in die kalte Wirklichkeit zurück.
„Ein Jemand, der niemandes Freund ist, ist ein verlorener Jemand. Nun, dann werde ich dich lieber Fremder nennen, wenn dir das genehmer ist. Und wer immer du bist und was immer du hier tust, ich bitte dich, begleite mich, denn sonst begleitest du niemanden mehr.“
Es lag mir auf der Zunge, dass dies meine Absicht war. Doch dies war einer der Momente, in denen man seine Planung über Bord wirft, seine Prioritäten nicht beachtet und dem alltäglichen Leben eine Auszeit gibt. Und da mein Leben nur damit weitergehen würde, dass ich es beenden wollte, konnte ich mir diese Auszeit guten Gewissens genehmigen. Ich ergriff die Hand, die mir das Mädel hinhielt und erhob mich von meinem Bett aus Schnee, in dem ich vorgehabt hatte, einzuschlafen.
Wir gingen nicht weit. Oder ich hatte das Gefühl der Zeit verloren. Wir saßen an einem Tisch, sie saß mir gegenüber und sah mich an. Ich kann mich an sonst nichts erinnern. Meine gesamte Aufmerksamkeit gebührte dem Wesen vor mir. Ihr Gesicht war von eiskalter Schönheit. Es war, obwohl es noch unschuldig jung war, voller Zeichen für einen Menschen, der schon viel erfahren hatte. Während ich diesen Gedanken dachte, lächelte sie ein wenig mehr.
„Man sagt, ich habe das Gesicht von meinem Vater.“
Sie schwieg. Dann:
„Danke für das Kompliment.“
Und während ich merkte, wie sich ihre bleichen Wangen um Nuancen röteten, fragte ich mich, wie fasziniert ich von ihr sein musste, dass ich nicht einmal mehr merkte, was ich dachte und was ich sagte. Das plötzliche Knarren der Dielen zerrte mich aus meinen Gedanken. Als die Gestalt eintrat, lief mir ein Schauer über den Rücken. Der hagere Mann war in einen schwarzen Umhang gehüllt, einer Mönchskutte nicht unähnlich, die Kapuze über den Kopf gezogen. Sein Gesicht lag im Dunkeln, das Einzige was man sah, war die Hand mit der er die Tür geöffnet hatte. Sie schien so bleich, dass es aussah, er würde nur aus Knochen bestehen. Seine Stimme war so tief und rau, das wenn man die Augen schloss, nicht wusste, woher sie kam. Seine Stimme jagte mir mehr Angst ein als alles andere, was mir in meinem kurzen Leben widerfahren war. Und gleichzeitig bereitete sie mir einen wohligen Schauer, der beruhigte und tröstete. Und als ich diese Stimme vernahm, wusste ich: Diese Gestalt war der Vater der Schönheit, die mir gegenüber saß, und diese Gestalt war der Tod. Diese Stimme war das Letzte, was man in seinem Leben hören würde. Und wenn es soweit wäre, dann wüsste man auch, dass es soweit ist.
„Guten Abend Fremder“
Obwohl sein Gesicht noch immer im Dunkeln lag, ahnte ich, seine Augen sehen zu können. Und obwohl mich in diesem Moment die Angst hätte packen müssen, strahlte der Mann eine so ernorme Ruhe aus, die mich über meinen Schatten springen ließ.
„Guten Abend.“
Der Schwarze Mann schlug die Kapuze zurück und lächelte mich an. Er hatte ein eingefallenes Gesicht und zerfurchte Haut, aber ein Lächeln, so warm und naiv wie das eines Kindes.
„ Die Nacht ist kalt, es freut mich, dass du einen Weg hier ins Warme gefunden hast. Hat meine Tochter dir den Weg gezeigt?“
Das Mädel und ich nickten.
„Gut, das ist schön!“
Er streifte den Mantel ab und hing ihn an einen langen, nach oben gebogenen Nagel an der Tür. Dann setzt er sich zu uns.
„Es war ein langer Tag heute, viele Besuche musste ich machen. Und zuletzt hatte ich eine Verabredung am Waldrand. Doch dort war niemand, nur eine Kuhle im Schnee.“
Ich wollte erwidern, dass ich derjenige war, der dort hätte liegen sollen, doch in den Augenwinkeln sah ich des Todes Tochter, die mich eindringlich ansah und den Kopf leicht schüttelte. Und so schwieg ich. Der Alte seufzte:
„Nun denn, so ist das Leben.“
Er blickte sich auf dem Tisch um und sah dann seine Tochter an.
„Hast du dem lieben Fremden nichts angeboten?“
Er blickte mich an.
„Möchtest du etwas trinken? Einen Tee gegen die Kälte?“
Bevor ich etwas erwidern konnte, sprang er auf und verschwand in einer Tür. Ich blickte ihm eine Zeit lang nach, dann schaute ich in die glänzend schwarzen Augen des Mädchens.
„Dein Vater ist…“
Sie nickte.
„Das ist er, aber er weiß es nicht.“
Ich starrte sie verständnislos an. Sie atmete tief durch und ließ die Luft langsam hinausgleiten.
„Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Mein Vater ist die Person, die immer als der Tod bezeichnet wird. Gevatter Tod, der Sensenmann, Schlafes Bruder, das sind alles Namen für ihn. Er ist das Wesen, das den Menschen das Leben nimmt. Aber er selbst weiß nicht, dass er dieser Mann ist.“
„Und was glaubt er, was er ist?“
Bevor sie antworten konnte, erschien ihr Vater wieder in der Tür. Einen Tonkrug in der einen, drei Tontassen in der anderen Hand. Schweigend verteilte er die Tassen und den Tee.
„Was haben Sie denn den ganzen Tag gemacht?“
Er stellte den Krug ab und sah mich mit tiefschwarzen Augen an.
„Ich selbst nenne mich Filmvorführer. Menschen rufen mich, oder ich werde zu ihnen geschickt. Und dann lasse ich ihr gesamtes Leben, ihren eigenen Film vor ihren Augen ablaufen. Und dann gehe ich wieder. Mehr tue ich nicht.“
Schweigen.
„Willst du deinen Film sehen?“
Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Noch vor ein paar Stunden war dies wirklich noch mein Wunsch gewesen. Der Abend wurde immer länger, der Tod erzählte vom Leben und seine Tochter lächelte mich an. Nach drei oder vier Kannen Tee erhob sich die hagere Gestalt.
“Es ist spät und ich habe morgen viel zu tun. Ich wünsche eine gute Nacht, lieber Fremder.“ Ich deutete ein Aufstehen und ein Nicken an und gab dem Tod die Hand. Ich saß eine Weile mit dem Mädchen alleine da. Meine Gedanken schwammen durch das, was der Tod und das Mädchen gesagt hatten. Dann riss ich mich heraus und stand auf.
„Danke für die Gastfreundschaft. Danke für das Leben.“
Ein Lächeln zog sich von ihren Mundwinkeln zu ihren Augen.
„Nichts zu danken, das ist nun mal das Leben.“
Dann erhob sie sich ebenfalls und brachte mich zur Tür.
„Sehe ich dich noch einmal?“
Wieder lächelte sie.
„Man sieht sich immer zweimal im Leben.“
Ich stand in der offenen Türe, die Kälte im Rücken, und meine Gedanken kreisten um die Tatsache, dass es dem Tod nicht bewusst war, das er der Tod war. Und ein drittes Mal lächelte das hübsche Mädchen, kam mit dem Mund nah an mein linkes Ohr und flüsterte: „Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Der, der das Leben schafft, weiß es auch nicht.“

Filmvorführer gibt es auch als Kurzgeschichte bei BookRix.

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