Text: Muss Ich Ich sein?

An diesem Morgen, es war der Morgen, an dem sich alles veränderte, wachte ich auf und ich wusste: Das ist der Morgen, an dem sich alles verändert.
Muss ich ich sein? Ich wollte nicht mehr ich sein! Ich wollte kein Kasimir mehr sein. Ich wollte nicht der Typ mit dem langweiligen Leben sein. Nicht der Typ, den kaum jemand mag. Der Aussenseiter. Ich wollte ein John sein. Oder ein Dave. Und ich fasste den Beschluss, dass ich jetzt ein Steve werden musste. Ich stand auf, und ging ins Bad.
Weg mit dem Bart. Bis auf coole Drei-Tage-Flausen kam alles ab. Genauso die langen Rockerhaare. Wie meine Vergangenheit flogen sie in den Müll. Ich stand nackt vor dem Spiegel. Neue Klamotten mussten her. Am liebsten wäre ich nackt in ein Kaufhaus gegangen. Aber das hätte nicht gut geendet. Ich zog also meine alten Klamotten an und fühlte mich, obwohl sie sauber waren, wie nach 4 Tagen Festival in der gleichen Boxershorts. Ich ging in all die Läden, all die H&Ms und ZARAs, die ich mein ganzes Leben lang noch nie von innen gesehen hatte, lächelte all die Menschen an, die ich mein Leben lang gemieden und verachtet hatte. Und wisst ihr was? Ich hab mich wohl gefühlt! Mal abgesehen von meinen Klamotten.
Neu eingekleidet ging ich durch die Straßen und genoss meine neue Identität. Am liebsten würde ich zu jedem hingehen, die Hand schütteln und sagen: „Hej, ich bin der Steve“ Aber das passte nicht zu meinem Stil. Aber ich hatte eine Idee und begab mich in den nächsten Starbucks. „Ihr Name?“ Fasziniert sah ich zu, wie sie meinen Namen, meinen neuen Namen, schrieb. Steve. Das war so viel besser als Kasimir. Ich musste mir eine Basecap und eine Pornobrille besorgen.
Stolz und billig eingekleidet lief ich durch die Straßen und präsentierte mein neues Ich, als ich plötzlich eine alte Bekannte auf mich zugehen sah. „Karin!“ Verdutzt sah sie mich an. „Kennen wir uns?“ Erschrocken fiel mir ein, dass sie Kasimir kannte, aber nicht Steve. „Sorry, ich habe Sie verwechselt“ Schnell ging ich weiter.
Und dann kam mir, dass mein neues Ich noch keinen einzigen Freund hatte. Und keine Erinnerung. Ich erinnerte mich an die Erinnerungen die nicht die meinen sondern die von Kasimir waren. Und ich war traurig, denn jetzt. Nachdem ich mein Aussehen, meine Frisur, meinen Namen, meine Freunde und mein Leben mit all seinen Erfahrungen und Erinnerungen hinter mir gelassen hatte, jetzt, wo ich mein eigenes Leben aus ein paar Schritten Entfernung betrachten konnte, konnte ich ich es drehen und wenden, und ich musste mir eingestehen, so schlecht war es gar nicht gewesen.
Ich drehte mich um und lief Karin nach, um mich zu entschuldigen. Und während ich lief warf ich den Becher weg, mitsamt einer gesamten Identität. Eine schöne Identität, ja, das musste ich zugeben. Aber eine extrem langweilige.

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Kommentare

  1. Avatar von faby
    faby

    Ci-Jpu Kommentare: 1. Gummibroetchen
    28. Juli 2008 um 17:35Uhr

    Eine andere Identität ist wohl nur was für Secret Agents;-) Und die genießen es wohl auch nicht. Sonst: eenmal im Johr kann man ja mal in seine Traumidentität schlüpfen. Übrigens: was ist denn eine “Pornobrille”? Hab ich ja noch nie gehört!
    2. Songline
    28. Juli 2008 um 17:57Uhr

    Es ist wie so oft: Man schätzt die Dinge erst, wenn man sie verloren hat. Und sei es sich selbst.

    Starker Text!
    3. Sarah
    28. Juli 2008 um 19:27Uhr

    Veränderungen am äußeren Erscheinungsbild können einem ein “neues Ich Gefühl” verleihen, welches nicht unbedingt schaden muss. Und auch neue Freunde / Bekannte können den eigenen Horizont erweitern. Aber letztlich bleibt man immer man selbst. Und das ist auch gut so.
    4. sachma
    06. August 2008 um 19:26Uhr

    100-fach gesagt und doch noch gut: man nimmt sich überall hin selber mit. Ob zu H&M oder D&G, ob Starbucks oder Biotee, ob Kasimir oder Steve. Warum auch nicht – so KANN man sich ja gar nicht selbst verlieren :o) Echt guter Text!

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