Little Brother: Interview mit Kilian Kissling, Marketingleiter des Argon Verlag.

Kilian Kissling
Kilian Kissling

Wie versprochen, hier das Interview mit Kilian Kissling, Marketingleiter des Argon Verlag und Hauptverantwortlicher des Little Brother Projektes.

Wie schon bei Lea haben wir das Interview per Facebookchat gemacht. Die Distanz nach Berlin ist doch ein bisschen weit, um mal kurz für ein Interview vorbeizufahren.

Das wär ja fast so verrückt, wie: Mal kurz für eine Pressekonferenz nach Berlin zu fahren 😉

Deshalb also ein Mittwochnachmittag und zwei Stunden Zeit zum tippen:

Schönen Nachmittag, Kilian! Hallo nach Berlin! Gruß in den Süden!

Nicht mal mehr eine Woche bis zur Pressekonferenz im Breipott, wie ist die Stimmung bei euch im Verlag? Wir sind sehr aufgeregt. Und zuversichtlich. Wir haben sehr viele neue Kontakte geknüpft. Viel gelernt.

Soweit ich das bis jetzt mitbekommen habe – berichtige mich, wenn ich falsch liege – ist der Argon Verlag der Erste in Deutschland, der so ein Projekt mit dem Street Performer Protocoll startet, oder? Wir haben noch nichts anderslautendes mitbekommen. Ein weiteres Indiz für diese Annahme ist, wieviel wir unser Projekt erklären müssen gerade innerhalb der Branche. Das Street Perfomer Protocol ist ja schon die „höhere Schule“ für Fortgeschrittene. Meistens muss ich erstmal erklären, was CC ist.

Genau auf das wollte ich jetzt kommen. Wir haben ja in den letzten Wochen immer wieder mal miteinander zu tun gehabt und ich verfolge ja auch die Resonanz innerhalb der Netzwelt zu „Little Brother“ und den verschiedenen Projekten und es scheint, dass sogar etablierte Medien ganz schöne „Wissenslücken“ aufweisen, beziehungsweise dass das Little Brother Befreiungsprojekt in Deutschland sehr sehr neue Wege geht.

Wie denkt man da als Verlag über das Risiko nach, dass diese ganze Geschichte auch schief gehen könnte? Es ist ja für einen normalen Verlag erst einmal etwas ganz normales, ein Risiko einzugehen. Schließlich tun wir dies auch Monat für Monat in den konventionellen Bahnen. Nimm einen beliebigen Titel, der mit hohen Erwartungen an den Start geht, der teure Werbung bekommt und dann liegen bleibt. So gesehen ist das Risiko in diesem Fall rein monetär betrachtet auch nicht größer als sonst. Und kalkulierbar. Unkalkulierbarer hingegen sind die immateriellen Risiken. Unglückliche Außenwahrnehmung, Missverständnisse oder ähnliches.

Genauso unkalkulierbar ist aber auch die mögliche positive Resonanz, die so ein Projekt mit sich bringen kann, oder? Du sagtest ja gerade, dass ihr schon viel gelernt habt. So ist’s recht. Wir wollen über die Chancen sprechen! Was wir gelernt haben? Wir müssen ja derzeit in kurzer Zeit eine sehr große Communitiy für das Thema aufbauen, wo vorher noch keine war. Wir haben zwar vorher auch schon mal gebloggt und getwittert, jedoch nicht so ernsthaft und mit einem klaren Ziel. Oder was ganz anderes: Gestern Abend war ich beim Stammtisch der Berliner Piratenpartei und habe da den ganzen Abend diskutiert.

War das dein erster Piratenstammtisch? Was waren die Themen, die angeschnitten wurden? Und: Wie weit lagst du über oder unter dem Altersdurchschnitt? Ja, mein erster. Themen waren natürlich Urheber- und Leistungsschutzrechte, DRM und Schutzfristen. Anders als ich erwartet hatte, waren die Standpunkte gar nicht so radikal, sondern auf Lösungen gerichtet. Vom Alter her war ich mitten drin. Sehr spannend fand ich, mit welchen technischen Mitteln diskutiert wird: „Liquid Democracy“ heißt das Tool der Berliner. Scheint gut zu funktionieren, sie staunen selbst darüber.

Kannst du „Liquid Democracy“ kurz erklären? Auf Gefahr hin, dass das nicht ganz präzise ist: Es ist eine Software die Diskussionen organisiert und in die das spezifische basisdemokratische Regelwerk der Piraten eingearbeitet ist, zum Beispiel das Prinzip der deligierten Stimme, die das einzelne Mitglied anderen Mitgliedern „leihen“ kann.

Okay. Ich denke, ich werde an der Stelle auf das Piratenwiki verlinken. Korrekt! Hast Du auch Kontakte zu dieser Szene?

Ein bisschen. Ein paar Freunde von mir sind hier in Ludwigsburg in der Piratenpartei. Ich habe es selbst (ich schäme mich dafür) noch nie zu einem Stammtisch geschafft, aber das hole ich auf jeden Fall bald nach. Generell denke ich, das Projekt „Little Brother“, sowohl jetzt das Befreiungsprojekt als auch der Inhalt genau dieses Romans entspricht ja sehr den Interessen der Piratenpartei, oder? Absolut. Der Inhalt des Buches sollte natürlich alle interessieren. Hier ist allerdings bei den Piraten wohl das größte technisches Verständnis. Und mit unserer neuen alternativen Vertriebsform liefern wir wenigstens einen Ansatz, wie der Interessenausgleich zwischen Autoren/Produzenten und Publikum anders gestaltet werden könnte. Der Produzent (in unserem Fall) erhält seinen gerechten Lohn, die Öffentlichkeit freien Zugang.

Aber das Street Performer Protocol wird ja auf keinen Fall die Lösung aller Probleme sein, denn den meisten Firmen geht es ja nicht nur um den gerechten Lohn sondern einen größtmöglichen Gewinn. Mit Gewinnen im Verlagswesen ist das so eine Sache. Selbstverständlich erhofft man sich von jedem einzelnen Titel Gewinn. Doch ein guter Teil davon finanziert Titel, die nicht so erfolgreich sind. Die berühmte Quersubventionierung. Sie ist mehr als nur eine hohle Behauptung. Aber zurück zum SPP: Es ist wohl nicht die Lösung aller Probleme, es kann aber einiges leisten, wie etwa gerade, dass riskante Projekte zustande kommen. Es gibt ja viele Bücher, die will man als Verlag einfach machen, selbst, wenn nennenswerte Gewinne von vornherein unwahrscheinlich sind. Hier könnte das SPP manch einem riskanten Projekt über die Schwelle helfen. Ich sehe aber noch andere Chancen für das SPP.

Und zwar? Man könnte Titel aus der Backlist „befreien“. Stichwort „Verwaiste Bücher„. Oder, ganz konkret: Wir denken gerade über eine sehr kostspielige Hörspielproduktion nach.

In diesem Fall wäret ihr per SPP nicht nur in Lage, kostspielige Projekte zu ermöglichen, sondern gleichzeitig auch zu sehen inwiefern überhaupt Interesse an dem Projekt besteht. Genau. Zumindest sind das die „Ränder“ an denen die nächsten Schritte erfolgen könnten.

Ein weites Feld also, um mal mit Allgemeinwissen zu antworten Zurück zu dir. So wie es aussieht, bist du persönlich der Antrieb für das gesamte Befreiungsprojekt. Was ist deine Intention? Ich bin ein professioneller Überzeugungstäter. Natürlich werde ich dafür bezahlt, dass ich zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Verlags beitrage. Doch zu meinen Aufgaben gehört natürlich auch, immer wieder neue Autoren und Themen ihren individuellen Zielgruppen näherzubringen und sie insgesamt in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. In diesem Fall hoffe ich, das Anliegen des Autors gerade außerhalb der Netz-Avantgarde bekannter zu machen.

Ein ziemlich schwieriges Unterfangen, sage ich mal aus eigener Erfahrung. Denn außerhalb der Netz-Avantgarde muss ich oft nicht nur erklären wer Cory Doctorow ist, sondern eben auch, was CC ist, und so weiter. Oh, wie wahr! CC ist unbekannter als ich dachte. Ich hatte vermutet, dass etwa durch Wikipedia, die ja in der Öffentlichkeit schon sehr prominent ist, da mehr gewusst würde. Dem war dann aber nicht so.

Aber deshalb führen wir das Interview und machen ja auch am Montag die Pressekonferenz, um CC, SPP und Cory Doctorow ein bisschen bekannter zu machen. Ich glaube, wir haben schon einiges erreicht. Der Clou an der Veranstaltung ist ja, dass sie anhand eines Ausgangsstoff gleich verschiedene Alternativen der Umsetzung veranschaulicht.

Das ist der schöne Grund, weshalb ich von „wir“ sprechen kann. Ich werde am Montag ja auch dabei sein und darf zusammen mit Oliver Rohrbeck lesen. Ich aus der CC-Übersetzung von Christian Wöhrl, er aus der Rowohlt-Übersetzung. Der Argon Verlag hat sich ja mit Oliver Rohrbeck als Sprecher des Hörbuchs eine sehr prominente Stimme ins Boot geholt. Hast du mit Oliver auch mal über die Tragweite des Projektes geredet, bei dem er jetzt mitwirkt? Ja, er kann sich damit gut identifizieren. Er ist auch sehr beeindruckt von dem Buch. Und: Er freut sich darauf, mit dir gemeinsam zu lesen!

Ich mich auch! Auf jeden Fall! Kannst du uns noch ein bisschen Über die Veranstaltung verraten? Wirst du dort auch nochmal für Fragen der Anwesenden offen sein? Ja, unbedingt. Das ganze hat ja etwas von einer Missionstätigkeit. Ich möchte die Chance nutzen „von Angesicht zu Angesicht“ den Anwesenden zu erklären, was wir da machen. Dann sollt Ihr beiden etwa 45 Minuten im Wechsel lesen. Oliver schlägt übrigens vor, dass Ihr Euch „die Bälle zuwerft“ und auch die Übergänge kommentiert, worum es geht etc. Es wird eine Twitterwall geben und ich hoffe auch einen Livestream, wenn die Technik mitspielt, so dass auch von außerhalb partizipiert werden kann.

Ich glaube, ich habe dich auch schon mit einem Twitter Hashtag experimentieren sehen? Ja, erwischt. Er lautet #lbkickoff Ich vergaß noch zu erwähnen, dass Cory uns eine Videobotschaft schicken möchte. Er kann leider nicht live zugeschaltet werden, weil er während der Veranstaltung gerade nach Canada fliegt…

Wer Cory live erleben möchte, kann das aber noch im September tun, bei seiner Städtetour durch Deutschland. Am Montag werden wir ihn also „nur“ als Videobotschaft da haben.

Ich denke, bei und mit dieser Veranstaltung machen wir auch nochmal klar, dass es sich bei den verschiedenen Versionen nicht um einen „Wettbewerb“ handelt. Ja, das wollten in den letzten Tagen einige Blogs und Kommentatoren wohl gerne so sehen. Ich kann Dir bei dieser Gelegenheit jetzt schon mal danken, wie Du uns geholfen hast in den letzten Wochen.

Haha, sehr gerne! Ich muss ja auch sagen, als ich zum ersten Mal von der „kommerziellen Version“ erfahren habe, war das für mich auch ein Wettbewerb. Aber durch die Idee und das Projekt „Little Brother Befreiung“ habe ich einerseits Respekt vor dem Argon Verlag gewonnen und andererseits eine andere Sichtweise auf die verschiedenen Versionen von „Little Brother“. Ich würde es so sagen: In diesem Fall kann der Außenstehende drei Alternativen vergleichen: 1. Die klassische kommerzielle 2. Die unkommerzielle Eigeninitiative eine Selbstausbeuters (darf ich das sagen?) 3. Einen möglichen Mittelweg

Ich befürchte: Bei vielen anderen Büchern wird sich niemand finden, der da aus reiner Überzeugung soviel Energie investiert wie Du. Also wird es oft nur die Wahl zwischen 1. und 3. geben.

Besser als bisher nur die die klassische kommerzielle Version. Wie ist das denn, was passiert denn, ohne jetzt ein Unheil heraufbeschwören zu wollen, wenn die 9000 Euro nicht erreicht werden? Wird es dann auf keinen Fall eine freie professionelle Version geben? Das müssen wir dann beratschlagen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: – keine freie Version – wenn die Summe nicht ganz erreicht wurde: trotzdem freigeben – es später nochmal neu versuchen Bei dieser Gelegenheit sollte ich vielleicht noch erwähnen: Das Geld der „Befreier“ wird nur dann eingezogen, wenn wir die Produktion freigeben. Wenn nicht, lassen wir die Zahlungszusagen verfallen.

Gibt es mittlerweile auch andere Spendenmöglichkeiten neben PayPal? Ich kenne keine, die in Deutschland „barrierefrei“ zur Verfügung steht. Wir hätten das vielleicht auch ohne einen Partner mit fertigem Widget machen können. Das haben wir uns aber nicht getraut, schließlich sind auch Kleinstzahlungen möglich, die jede herkömmliche Buchhaltung in den Wahnsinn treiben würden. Außerdem: Ich finde das widget von sellyourrights ziemlich cool, gerade seine schönen Verbreitungsmöglichkeiten.

Ist das eigentlich später nicht die viel größere Arbeit, die nachträglich eingesprochenen Teile wieder reinzufrickeln? Wir haben das schon vorbereitet und einen Plan.

Ich persönlich gehe davon aus, dass dieses Experiment gelingt. Höre ich dann richtig heraus, dass es dann nicht das einzige SPP / CC Projekt des Argon Verlag bleiben wird? Wir sind auch optimistisch. Du sprichst ein wichtiges Stichwort an: „Experiment“. Dieses Projekt in ein ernsthaftes Experiment. Wie es verlaufen wird, ist ungewiss. Dennoch hat man sich bei der Konzeption des Experiments etwas gedacht. Es hat ein Ziel. Wenn es am Ende so einigermaßen läuft, wie wir uns das erhoffen, wird es sicher nicht das letzte CC-Projekt sein. Wenn die Erfahrung positiv sein wird, löst das sicher neue kreative Ideen aus, vielleicht auch solche, die unsere Arbeit langfristig verändern. Wichtig allerdings: Wir brauchen auch die Autoren und Rechteinhaber, die bereit sein, sich drauf einzulassen.

Das wird dann das nächste Projekt.

Kilian, ich für meinen Teil habe alle Fragen beantwortet bekommen, willst du noch irgendwas erwähnen, loswerden oder anmerken? Oh, die Chance etwas gewichtiges zu sagen, darüber muss ich kurz nachdenken… Vielleicht noch eins: Leser dieses Interviews. Lest oder hört dieses Buch. Egal wie! Es lohnt sich.

Sehr schönes Schlusswort!

Wie schon erwähnt, du wirst am Montag Abend im breiPott auch nochmal für Fragen offen stehen, wenn jemand noch Fragen hat. Dir vielen Dank für die Zeit, danke für die ganzen Antworten. Dir und deinem Team viel Durchhaltevermögen und viel Erfolg bei diesem Projekt! Vielen Dank!

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Kommentare

  1. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von faby Neidhardt erwähnt. faby Neidhardt sagte: Neues auf mokita: Little Brother: Interview mit Kilian Kissling, Marketingleiter des Argon Verlag. http://bit.ly/b4y91S […]

  2. […] Neidhardt (Foto), dem Sprecher des Little-Brother Fan-Hörbuchs via Facebook-Chat interviewt. Hier geht es zum Ergebnis. Interessant so ein Chat-Interview. Einerseits formuliert man anders als im direkten Gespräch […]

  3. […] „Wir wollen über die Chancen sprechen!“, sagt der verantwortliche Marketing-Leiter im Interview mit dem Macher der Fan-Version, Fabian Neidhart. Häufig trifft man bei Verlegern auf Furcht vor […]

  4. Avatar von sport vorhersagen
    sport vorhersagen

    Wirklich ein tolles Projekt. Es sollte mehrere solcher Projekte geben, die Kunst in diesem Bereich fördern. Ich drück die Daumen, dass alles klappt!

  5. […] auch eine kommerzielles Hörbuchversion geben. Der Argon Verlag sieht das Werk von faby Neidhardt jedoch nicht als Konkurrenz. Auch der Verlag wagt Neues, so soll es 2 Versionen erscheinen, die erste, gelesen von Oliver […]

  6. […] Der Marketingleiter des Argon Verlages, Kilian Kissling, ist davon überzeugt. In einem Interview gibt er sich zuversichtlich: „Nimm einen beliebigen Titel, der mit hohen Erwartungen an den Start […]

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