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Roman: Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck

Vielleicht liegen noch viele Jahre vor ihm, vielleicht nur noch ein paar.

Der erste Satz aus gehen, ging, gegangen.

Als Gehen, ging, gegangen 2015 rauskam, wusste ich irgendwann, dass es in dem Buch um Geflüchtete geht. Ich wollte nicht noch ein Buch über das Schicksal und Trauma einer Familie lesen und das Cover hat mir auch überhaupt nicht gefallen. Dazu kam, dass es ganz viele ganz überschwängliche Meinungen zu dem Buch gab, was mich manchmal eher abschreckt, etwas zu lesen, zu gucken, zu hören.

Aber dann war ich ohne genügend Lesestoff unterwegs und ziehe neben funny girl auch dieses Buch aus dem Bücherschrank und denke, warum nicht.

Richard ist emeritierter Professor, verwitwet und hat nichts mehr zu tun, als er auf die Gruppe an Geflüchteten aufmerksam wird, die am Alexanderplatz in einen Hungerstreik gegangen sind. Er versteht nicht ganz, was da passiert und warum sie sich so verhalten. Aber er hat ja Zeit, warum das nicht als Forschungsprojekt angehen?

Das Spannende an Gehen, ging, gegangen ist genau dieses Setting. Erpenbeck geht (erstmal) nicht den Weg der größten Emotionalität, sondern lässt Richard sich genau die Fragen stellen, die sich wohl viele gestellt haben. Nur dass Richard sich tatsächlich mit den Geflüchteten auseinandersetzt, stellvertretend für uns.

Ich hatte mit dem Anfang des Romanes meine Schwierigkeiten. Einerseits war er ganz anders, als ich dachte. Andererseits wollte ich ja eigentlich keinen Roman über einen sehr deutschen Rentner lesen. Aber mit ihm kommen wir den jungen Männern nahe, die er besucht und mit denen er seine Gespräche führt. Kommen ihren Erfahrungen, ihren Träumen und ihrem Wesen näher. Auf eine Art, wie ich es nie erwartet habe. Weil ich dem alten Rentner irgendwie doch ähnlicher bin als ich dachte.

Leider ist Erpenbecks Buch immer noch aktuell. Eine Geschichte über Menschlichkeit, wie sie uns im Alltag verlorengeht und wie wir sie wieder finden können.

Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck erschien bei unterschiedlichen Verlagen, die Taschenbuchausgabe bei Penguin. Bücherschrankfund.

Film: Was man von hier aus sehen kann

Seit heute läuft Was man von hier aus sehen kann offiziell im Kino, wir saßen gestern in der Preview. Ich kann verstehen, warum viele Kritiker:innen den Vergleich zu Amélie ziehen. Ging mir schon beim Trailer so und geht mit nach dem Film immer noch so. Viele Szenen leicht überbelichtet, alles so ein bisschen absurder als unsere Realität und dazu ein sanfter Soundtrack. Aber die Leute, mit denen ich im Kino war, sehen das anders.

Wo wir uns einig waren, dass der Film zu gewollt ist und sich nicht entscheiden kann, ob er sich ernst nehmen will. Dadurch gibt es ein paar merkwürdige Szenen, die nicht so richtig reinpassen. Schade eigentlich, weil es auch ein paar echt schöne Momente gab. Die Szene mit den Briefen war schon im Buch eindrucksvoll und bleibt es auch im Film. Und Karl Markovics spielt den Optiker großartig. Aber der Rest? Zerfällt zwischen „absurd lustig sein“ und „ein realistisches Drama erzählen“.

Was man von hier aus sehen kann ist ein netter Film mit ein paar Lachern und ein paar sehr schönen Szenen. Aber leider nicht arg viel mehr.

Gewinnspiel: Was man von hier aus sehen kann, ab 29.12. im Kino

Ganz knapp vor Jahresende kommt Was man von hier aus sehen kann ins Kino. Vor 5 Jahren habe ich mir die Hörbuchversion des Romanes von Mariana Leky angehört, gelesen von Sandra Hüller.

Luise (Luna Wedler) ist bei ihrer Großmutter Selma (Corinna Harfouch) in einem abgelegenen Dorf im Westerwald aufgewachsen. Selma hat eine besondere Gabe, denn sie kann den Tod voraussehen. Immer, wenn ihr im Traum ein Okapi erscheint, stirbt am nächsten Tag jemand im Ort. Unklar ist allerdings, wen es treffen wird. Das ganze Dorf hält sich bereit: letzte Vorbereitungen werden getroffen, Geheimnisse enthüllt, Geständnisse gemacht, Liebe erklärt….

Ich mochte die Geschichte, aber nicht die Art, wie Hüller sie gelesen hat. Jetzt gibt’s den Film. Ich hab ihn leider noch nicht gesehen – Rezension folgt – der Trailer fühlt sich aber sehr leicht und skurril an, erinnert mich an Amélie, im besten Sinn. Und Studiocanal und DuMont haben mir ein paar Dinge zur Verfügung gestellt, die ich an euch verlosen darf. Es gibt ein Paket mit 2 Freikarten, 2 Filmplakaten, Buch und Hörbuch.

Schreibt mir eine Mail (Kommentare lass ich nicht gelten) mit eurer Adresse und sagt mir, welchem Tier ihr gern auf einer Lichtung oder im Traum begegnen würdet.

Einsendeschluss ist Dienstag, der 27. Dezember, 12:42 Uhr. Der Zufall entscheidet, dann geht das Paket direkt raus. Die Adressen werden für nichts anderes verwendet und direkt danach wieder gelöscht. Viel Erfolg!

Roman: Mittnachtstraße von Frank Rudkoffsky

Mit sieben passten seine Beine noch quer unter den Tisch, und er konnte gerade so aufrecht sitzen, es war zwar höllisch unbequem, aber immerhin ein sicheres Versteck.

Der erste Satz aus Mittnachtstraße

Sein Job macht ihn fertig, seine Familie ist gerade nur Ballast und keine Freude mehr und jetzt kommt raus, dass sein cholerischer Vater demenzkrank ist. Und Malte muss da irgendwie durch. Was bedeutet, ziemlich weit zurück in die Vergangenheit zu gehen, um ganz alte Dinge endlich zu klären. Was nie leicht ist.

Frank Rudkoffsky erzählt mit Mittnachtstraße eine Geschichte über Familie und Väter und toxische Beziehungen und Dinge, die alte Menschen gern „Tradition“ nennen. Und das ganze in einem Schrebergarten, was mich erstmal ziemlich abgeschreckt hat, weil das so gar nicht meine Szene ist. Aber Rudkoffsky erzählt frisch und modern, post-pandemisch mit so vielen kleinen Details, bei denen ich denke, „ja, ich auch!“, sodass das Setting für mich dann doch ziemlich gut funktioniert. Es ist ein Kammerspiel zwischen Schrebergarten und Klimawandel, zwischen Vater sein und immer im Schatten des eigenen stehen, klar und eindrücklich erzählt.

Mittnachtstraße von Frank Rudkoffsky erschien bei Voland & Quist. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Transparenz: Frank und ich sind befreundet, was mich im besten Fall ehrlicher und unbarmherziger macht.

Film: Einfach mal was Schönes

Karla ist Ende 30 und will eigentlich Kinder, aber findet nicht den richtigen Mann dafür. Also beschließt sie irgendwann, mithilfe eines Spenders ein Kind zu bekommen. Nur, dass sie gleichzeitig den mehr als 10 Jahre jüngeren Ole kennenlernt, der noch lange nicht an Kinder denkt, aber sehr gern mit Karla zusammen ist.

Das ist die Hauptstory, mit Karoline Herfurth in der Hauptrolle, die auch Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat. Neben dieser Geschichte spricht Herfurth eine ganze Reihe an Aspekten und Themen an, die sich um Elternschaft und Kinder drehen. Fast nebenher werden in ihrer Welt auch Homosexualität und Menschen mit Behinderung miterzählt. Ich mag die Blickwinkel und die Bilder, die Caroline Herfurth zeichnet, wie die Art, wie sie Geschichten erzählt. Weil es eben einerseits immer noch nur Boy meets Girl ist, aber andererseits eben erstmal Girl. Und dann Girl meets Boy. Es ist erfrischend, die Geschichte so zu sehen, mit Aspekten, die ich bisher selten bis nie in Filmen gesehen habe.

Ich liebe es, wie und wie breit Herfurth die Themen Mutterschaft und Frau sein erzählt, mit vielen Aspekten, die oft eben nicht erzählt werden. Leider zerfasert der Film deshalb manchmal ein bisschen. Es gibt Erzählfäden und Sichtweisen, die nur einmal angerissen werden und dann nicht mehr auftauchen. Aber das ginge auch nicht, alle Aspekte bis zum Ende durchzuspielen, nicht in einem Film. Und leider endet der Film dann doch ein bisschen klischeehaft, was nach all den neuen Bildern und Geschichten ein bisschen schade ist.

Trotzdem: Einfach mal was Schönes erzählt neu und breit über Mutter und Kind und Frau sein. Und obwohl er sich manchmal in den ganzen Geschichten verhaspelt, zeigt er viele Dinge, wie ich sie noch nie gesehen habe. Gerne mehr davon.