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Hörbuch: Treue von Hernan Diaz, gelesen von Stephan Schad, Johann von Büöow, Sabine Arnhold und Valery Tscheplanowa

Da er von Geburt an annähernd jeden erdenklichen Vorteil genossen hatte, blieb Benjamin Rask als eines von wenigen das Privileg eines heldenhaften Aufstieges versagt: Seine Geschichte war keine zäher Hartnäckigkeit, keine Chronik eines unbezwinglichen Willens, der sich aus wenig mehr als altem Blech ein goldenes Schicksal schmiedete.

Der erste Satz aus Treue.

Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, worauf ich mich einließ. Hatte gehört, dass das Buch gut sein soll, hab mir keinen Klappentext durchgelesen, sondern bin direkt in das Hörbuch eingestiegen und in diese Welt von Benjamin Rask und seiner Geschichte über Aktien und Geld und Macht im Amerika Anfang des letzten Jahrhunderts. Spannend erzählt, ja, aber was genau höre ich da eigentlich? Und warum höre ich nach ein paar Stunden die Lebensgeschichte von Andrew Bevel, die sich erstaunlich ähnlich anhört wie jene, die ich von Rask gehört habe? Erst im dritten Viertel wird mir klar, dass es immer um den gleichen Menschen geht, nur eben immer aus anderen Blickwinkeln. Und das macht den Reiz des Buches aus, so klar gezeigt zu bekommen, wie sehr sich eine Geschichte ändert, je nachdem, wer sie erzählt. Treue ist kein Buch, dessen Inhalt leicht erzählt werden kann. Weil es nicht nur um die Geschichte geht, sondern auch um die Erzählform. Ich weiß nicht, ob ich es in geschriebener Form durchgehalten hätte. Aber Valery Tscheplanowa, Sabine Arnhold, Johann von Bülow und Stephan Schad hauchen den vier Teilen so ein schönes Leben ein und verkörpern den Inhalt auf großartige Weise, dass ich gar nicht anders kann, als dran zu bleiben. Hernan Diaz erzählt weniger eine einzigartige Geschichte, als dass er gleich mehrere Mythen aufbricht und Wahrheit neu beleuchtet. Ein nicht ganz einfacher, aber großartiger Roman, den ich besonders in der Hörfassung sehr empfehlen kann.

Treue von Hernan Diaz wurde übersetzt von Hannes Meyer, gesprochen von Valery Tscheplanowa, Sabine Arnhold, Johann von Bülow und Stephan Schad und erschien bei Argon. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Hörbuch: Es kann nur eine geben von Carolin Kebekus

Wenn ein Kind geboren wird, fragt man immer zuerst nach dem Geschlecht.

der erste Satz aus Es kann nur eine geben

Ich kannte ein paar Sachen von Caroline Kebekus und wusste, da kommt dieses Buch, das Cover hat ich aber ziemlich abgeschreckt. Aber Cover ist ja nicht alles. Und ich hatte gerade Aminata Touré und Alice Hasters gehört und war gespannt, was Carolin Kebekus erzählen würde.

Und das kann sie: erzählen. Sie ist es gewohnt, auf der Bühne zu stehen, sie ist witzig und sie kann gnadenlos ehrlich mit ihren eigenen Ängsten und Problemen sein. All das packt sie in dieses Buch.

Ich liebe es, wie Caroline mich in ihre Welt mitnimmt, und diese These klar macht: Wir scheinen in einer Welt zu leben, in der zwar auch Frauen an der Spitze sind, aber immer jeweils nur eine. Es braucht nur eine (positiv besetzte) Frau neben Jesus, nur eine Frau in einer Comedy-Show, nur eine Frau in einem Aufsichtsrat. Was dazu führt, dass Frauen nicht mehr mit Männern konkurrieren, sondern mit anderen Frauen um diesen einen Platz kämpft. Was uns Männern natürlich zugute kommt.

Eine Mischung aus Geschichte und eigener Biographie, immer mit einem Lächeln erzählt. Bis auf die Momente, wo kein Lächeln angebracht ist. Wo es ernst wird. Und dann schmerzt es auch manchmal, ihr zuzuhören. Im besten Sinn. Ich hab gelacht und viel gelernt und denke immer noch oft an das, was Caroline Kebekus erzählt.

Immer noch: Sie kann erzählen, sie ist witzig und kurzweilig und bringt ihre wichtigen Themen leicht rüber. Und die Leute kennen sie schon. Das macht es leicht, ihnen dieses Hörbuch in die Hand zu drücken und zu sagen, hör mal rein. Hab ich jetzt schon ein paar Mal gemacht.

Es kann nur eine geben von Carolin Kebekus und Mariella Tripke, gelesen von Carolin Kebekus, erschien bei Argon. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Hörbuch: Wir können mehr sein von Aminata Touré

Es war ein großer Tag und ich stand ratlos vor dem Schrank.

Der erste Satz aus Wir können mehr sein.

Ich habe Aminata Touré in einem Podcast kennengelernt und ich mochte ihr Erzählen, ihre Art, ihre Ansichten. Natürlich höre ich mir dann auch das Hörbuch an.

Aminata Touré war bis 2022 Mitglied und Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Seit dem 29. Juni 2022 ist sie Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung und damit Deutschlands erste afrodeutsche Ministerin. Aber so weit geht das Hörbuch gar nicht. Es erzählt ihre Geschichte bis etwa Anfang 2021. Besser gesagt, Aminata Touré selbst erzählt sie, und anders hätte das bei so einem Buch auch nicht funktioniert.

Aminata Touré ist ein wenig jünger als ich, ist eigentlich in einem ähnlichen Deutschland aufgewachsen. Und an so vielen Stellen überhaupt nicht. Ihr mehr als 6 Stunden zuzuhören, erweitert meine Wahrnehmung und macht Dinge greifbar, die ich vorher nicht verstanden habe. Jetzt ist Aminata Touré also die erste afrodeutsche Ministerin und ich denke, wir werden noch mehr von ihr hören. Das nutzt sie, um beispielhaft für viele andere zu stehen. Das ist gut und wichtig, genauso wie dieses Buch.

Was leider von Anfang an auffällt, dass Aminata Touré im Podcast beispielsweise sehr gut erzählen kann, aber nicht vorlesen. So wichtig und teilweise auch emotional der Inhalt ist, es bleibt immer nur okay vorgelesen. Was für sich total in Ordnung wäre, diese Frau ist Politikerin, die reden kann, sie muss nicht die beste Vorleserin sein. Leider hat sich Argon (oder das Studio, das die Aufnahme gemacht hat) hier nicht die Mühe gemacht, die das Buch verdient hätte.

Achtung, es wird ein wenig technisch: Wie viele andere Menschen atmet auch Aminata Touré laut ein, bevor sie liest. Mit der richtigen Einstellung hätte man das locker in den Hintergrund mastern können. Leider ist aber das Gate so eingestellt, dass die erste Hälfte des Atmers abgeschnitten ist und die zweite Hälfte sehr laut hörbar, was einen ganz unnatürlichen Klang gibt. Zusätzlich hat niemand darauf geachtet, dass die Pausen sauber sind und dem Inhalt angepasst. Nach einem sehr emotionalen Absatz hätten wir Zuhörer:innen einen kurzen Moment der Pause verdient. Stattdessen geht es aber abrupt weiter, ganz andere Stimmung, ganz anderes Setting. Eindeutig geschnitten, gefühlt maschinell.

Inhaltlich immer noch ein gutes und wichtiges Buch und wahrscheinlich als Hörbuch auch stärker als selbstgelesen. Die Produktion ist leider nicht auf dem Niveau, wie ich sie von Argon erwarte.

Wir können mehr sein von Aminata Touré erschien beim Argon Verlag.

Hörbuch: Lovecraft Country von Matt Ruff, gelesen von Simon Jäger

Atticus war schon beinahe zu Hause, als der State Trooper ihn rechts heranfahren ließ.

Der erste Satz aus Lovecraft Country

Diese Geschichte spielt in den 1950ern in Amerika, einer Zeit voller Rassismus und vorgeheuchelter Moral, sie erzählt von Atticus und seiner Familie, von ihrem für mich unvorstellbarem Alltag. Und der Magie, die plötzlich in ihr Leben tritt. Denn in dieser Realität existieren die Paralleldimensionen, die Monster und die magischen Kräfte aus H.P. Lovecrafts Geschichten tatsächlich. 

Urban Fantasy in den 1950ern, voller schwarzem Humor, der mir ein paar Mal Gänsehaut macht. Es ist eine ganz komische Mischung, die den Umgang mit Schwarzen damals viel krasser darstellt, als ich gedacht habe.

Neben einer grandiosen und schön erzählten Geschichte (die Serie dazu soll 2019 anlaufen) und Simon Jäger fasziniert mich die Art, wie die Protagonisten mit Unglaublichem umgehen.

Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass es mir in Büchern, Serien und Filmen mittlerweile zu lange dauert, bis die Charaktere in den Geschichten akzeptieren, dass es Vampire/Zeitreisen/den Teufel/Zombies/was auch immer gibt. Oft gehe ich ja mit der Prämisse in die Geschichte und meine Fähigkeit, meinen Unglauben willentlich auszusetzen, ermöglicht mir, den Fakt „Vampire/Zeitreisen/Teufel/Zombies/was auch immer“ als gegeben anzusehen. Und da es in der Geschichte darum geht, werden auch die Protagonisten irgendwann daran glauben. Warum muss ich mir dann mehrere Seiten/Minuten durchlesen/anhören/ansehen, bis sie auch irgendwann dran glauben.

In diesem Fall ist diese Zeit der Akzeptanz sehr sehr kurz. Die Personen in der Geschichte brauchen zwar auch einen Moment, dieser ist aber erfrischend kurz gehalten, was die Erzählweise beschleunigt und mehr Zeit für interessantere Sachen gibt, als da langsame Anerkennen der Magie.

Lovecraft Country ist einerseits ein schmerzhaftes Abbild des Rassismus in Amerika, der bis heute auch bei uns zu spüren ist, andererseits eine Geschichte voller Magie und schwarzem Humor. Simon Jäger synchronisiert Matt Damon und vertont vornehmlich Thriller, seine Stärke sind aber Komödien wie diese. Großer Spaß und Gänsehautfaktor in einem. Das war mein erstes Buch von Matt Ruff, es kommen weitere.

„Lovecraft Country“ von Matt Ruff, gelesen von Simon Jäger, übersetzt von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube, erschien bei Argon. Der Verlag hat ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Hörbuch: Mein Herz zwischen zwei Welten von Jojo Moyes, gelesen von Luise Helm

Jojo Moyes hatte mit Ein ganzes halbes Jahr ihren internationalen, aber auch ihren deutschen Durchbruch, seitdem werden nicht nur all ihre anderen Romane mit ähnlichem Cover neu aufgelegt, sondern das Buch wurde verfilmt und Moyes schrieb Teil 2, Ein ganz neues Leben, und dieses Jahr erschien Mein Herz in zwei Welten.

Band 1 war ‚Ziemlich beste Freunde‘ plus Liebe und sauber konsequentem Ende und ist eine gute Geschichte, emotional erzählt und von Luise Helm wunderbar gelesen. Band 2 hinterließ einen ziemlich bitteren Geschmack, weil Moyes, damit Band 2 funktionieren konnte, das bittersüße Ende des ersten Buches im Auftakt des zweiten quasi aufheben musste.

Ich habe noch nie ein offensichtlicheres Beispiel erlebt, in dem ein zweiter Teil den ersten im Nachhinein schlechter macht. Dementsprechend war ich ziemlich skeptisch über den dritten. Aber konsequenterweise wollte ich ihn hören. Ein Glück.

Mein Herz in zwei Welten lässt Louisa einen Neuanfang in Amerika machen, mit allem Stolpern und aller Faszination, aber auch mit den Fäden in die Vergangenheit, die sich nicht so leicht kappen lassen. Und natürlich ist da die Liebe. 

Es funktioniert. Als Geschichte, als nächster Teil in Louisas Leben. Aber auch als eigenständige Story. Sehr visuell erzählt, gibt es einige Szenen, die schon jetzt nach Film schreien. Der Soundtrack schwang die ganze Zeit in meinem Kopf mit.

Luise Helm tut den Rest. Ich mag die Stimme, die Art, wie sie eine Geschichte erzählt und sie mir als Zuhörer näher bringt, ohne es zu übertreiben.

Wem ‚Ein ganzes halbes Jahr‘, kommt auch hier auf seine Kosten. Den zweiten Teil könnt ihr überspringen. Dieser hier lohnt dafür wieder.

Mein Herz in zwei Welten von Jojo Moyes wurde übersetzt von Karolina Fell und erschien bei Wunderlich, das Hörbuch wurde gelesen von Luise Helm und erschien bei Argon. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.