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Bericht: Gabrielle Zevin am 20.3.23 im Wittwer Thalia in Stuttgart

Gabrielle Zevin musste erst zehn Romane schreiben, bis sie mit Morgen, morgen und wieder morgen nicht nur meine Aufmerksamkeit erregt hat. Ein großes und großartiges Buch, hauptsächlich über Freundschaft und Beziehungen über Jahrzehnte.

Ich komme ein paar Minuten vor Lesungsbeginn und die Etage im Wittwer ist schon gut gefüllt, aber niemand hat sich bisher in die erste Reihe getraut. Also sitze ich eine Armlänge vor Gabrielle Zevin und Andrea Husak, die die Moderation übernimmt und die deutschen Passagen lesen wird.

Wir sind der erste Stopp in Deutschland, nachdem Zevin schon in Spanien war und auch letztes Jahr mit dem Buch unterwegs sein durfte. Sie weiß, was sie tut, sie kann frei erzählen und nimmt uns mit hinter die Kulissen des Buches, aber auch grundsätzlich in ihren Kopf und ihre Art, Geschichten zu erzählen. Wir schmunzeln und hören zu, nicken und lachen. Am Ende stellen sich fast alle in die Schlange für’s signieren und Zevin nimmt sich die Zeit, mit allen ein paar Worte zu wechseln.

Danke für diesen schönen Abend, gerne wieder.

Eichborn und Wittwer Thalia haben haben mir ein Presseticket zukommen lassen.

Roman: Morgen, Morgen und wieder Morgen von Gabrielle Zevin

Bevor Mazer sich als Mazer neu erfinden sollte, war er Samson Mazer, und davor hieß er Samson Masur.

Der erste Satz aus Morgen, Morgen und wieder Morgen

Sadie und Sam lernen sich im Krankenhaus kennen, er mit kaputtem Bein, sie als Besucherin, beides Kinder, beide gelangweilt. Aber da ist die Nintendo im Wartezimmer. So beginnt diese Freundschaft zwischen den Beiden und dann begleiten wir sie über Jahrzehnte. Inklusive aller Tiefen, Missverständnisse und ungesagter Dinge.

Für mich war es das Schönste, die Freundschaften in diesem Buch zu begleiten, wie sie in den Jahren auseinanderdriften und wieder zusammenkommen. Wie oft ich gedacht habe, „ich kenne das so sehr“.

Ich hab die Geschichte gern und schnell gelesen, mehr als 550 Seiten, die wir mit Sadie und Sam und Marx und all den anderen verbringen, plus Videospiele und dieses nostalgische Erkennen von Dingen aus den 90ern. Macht Spaß, aber schmerzt genauso, wenn das Leben den Leuten Schicksalsschläge vor die Füße wirft. Und dann klappst du das Buch zu und bist irgendwie traurig, weil es rum ist.

Was mich ein wenig stört, im Buch, aber auch in der Diskussion um das Buch, dass es heißer gekocht wird, als es eigentlich ist. Auf dem Klappentext steht „Rivalitäten“, im Buch kommen Phrasen wie „[…]aber zu dem Zeitpunkt haben sie schon Jahre nicht mehr miteinander gesprochen[…]“. Ja, Sadie und Sam reden manchmal nicht miteinander. Und wir können das alle nachvollziehen, weil wir solche Situationen auch haben. Das macht die Geschichte ja so gut. Aber es ist nie diese Rivalität, nie dieses ganz große Auseinanderbrechen, dass angedeutet wird.

Hätte nicht sein müssen. Trotzdem: Tolles Buch und ich bin gespannt auf die Verfilmung.

Morgen, Morgen und wieder morgen von Gabrielle Zevin wurde übersetzt von Sonia Bonné und erschien bei Eichborn. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Buch: The Art Of Asking von Amanda Palmer

Der erste Satz aus The Art Of Asking:

‚Hat jemand ein Tampon? Ich hab‘ gerade meine Tage bekommen‘, sage ich laut zu niemand Bestimmtem auf der Frauentoilette eines Restaurants in San Francisco oder in der geteilten Toilette auf einem Prager Musikfestival oder zu dem nichtsahnenden Grüppchen in einer Küche auf einer Party in Sydney, München oder Cincinnati.

2013 gibt Musikerin und Künstlerin Amanda Palmer einen TED-Talk über die Kunst des Fragens und erzählt in knapp 14 Minuten von ihrer Erfahrung, was passiert, wenn man Fans und Menschen generell nicht zwingt, für Kunst zu zahlen, sondern sie darum bittet und selbst entscheiden lässt.

Auf die überwältigende Resonanz folgt dieses Buch, das einerseits die Themen des Talks weiter ausführt, autobiografisch erklärt, wieso Amanda Palmer ist, wie sie ist und wie ihre Einstellung zu Kunst und Menschen zustande kommt.

Ich kenne Amanda Palmer vor dem TED Talk nicht, kenne die Musik nicht. Aber vieles im Talk spricht mir zu, also konsumiere ich sie und ihre Kunst und eben dieses Buch.

Sie schreibt lustig und flott, ehrlich und auch naiv. Sie erzählt ihre Geschichten und verbindet ihre Ansichten damit, die meinen sehr ähnlich sind. Auch ich glaube, dass mit ‚Zahl, was du willst‘ und frei verfügbarer Kunst viel zu erreichen ist, und dass Kunst inspiriert und weiterverarbeitet werden kann und sollte.

Und sie ist ein eine weitere Verbindung zwischen verschiedenen Personen und Ansichten, die mir wichtig sind. Sie ist die Ehefrau von Autor Neil Gaiman, er ist signifikanter Teil der Anekdoten und auch seine Art, Geschichten zu erzählen, wird in diesem Buch erklärt. Zusammen haben beide das Vorwort für ein Sachbuch von Cory Doctorow geschrieben, der aus einem ähnlichen Antrieb heraus den Großteil seiner Bücher als kostenlosen Download auf seiner Homepage hat.

So setzt Amanda Palmer mit diesem Buch mehrere Verbindungen und Puzzleteile in ein immer größeres Bild, schafft mir neue Ansichten, stärkt schon existierende und motiviert immer wieder, neue Dinge auszuprobieren und Konventionen zu hinterfragen.

The Art Of Asking von Amanda Palmer wurde übersetzt von Viola Krauß und erschien bei Eichborn

 

Buch: Beobachtungen aus der letzten Reihe von Neil Gaiman

Der erste Satz aus Beobachtungen aus der letzten Reihe:

Ich bin dem Journalismus entflohen – oder habe mich ungeschickt von ihm gelöst -, weil ich die Freiheit haben wollte, mir selbst Sachen auszudenken.

Ich kenne Gaiman noch gar nicht so lange, aber ich lese seine Bücher gern, ich mag dieses Realität plus einen Hauch Magie. Ich sehe ihn mir auch gern an, wenn er Reden und Vorträge hält. Nun ist ein ganzes Buch davon entstanden, eine Sammlung von Vorworten, Essays, Reden und Vorträgen, die Gaiman in mehr als 20 Jahren in der Unterhaltungsbranche verfasst hat.

http://wasuebrigbleibt.tumblr.com/post/172557336962/und-literatur-schenkt-und-empathie-sie-versetzt

Einigermaßen sortiert nach Dingen über das Schreiben selbst, über andere Menschen und über seine eigenen Geschichten. Gaiman schreibt selbst, es ist kein Buch, dass man einfach von vorne nach hinten lesen sollte. Ich habe es getan und es klappt tatsächlich nicht gut. Weil Gaiman zwar extrem gut Geschichten erzählen und Vorträge halten kann, aber gelesen funktionieren diese Vorträge leider nicht so gut, wie wenn man sie hört. Und wenn man einen nach dem anderen liest, merkt man eben doch, dass sie aus einem Kopf kommen und manche Bilder, Ideen und Anekdoten – so gut sie sind – immer wieder von Gaiman verwendet worden. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, schon zu kennen, was ich las.

Es sind viele schöne Texte in diesem Buch, viele Leseempfehlungen und viele tolle Gedanken, richtig spannend wird es aber dann, wenn Neil Gaiman seine alten Texte nochmal kommentiert und in Zusammenhang bringt.

Es ist eine gute Zusammenstellung zum Teil sonst kaum erhältlicher Texte und ich hatte meine Freude, es zu lesen. Aber ich kann es nur Fans empfehlen und wünschte mir mehr Aufmerksamkeit und ein wenig mehr Zeit bei der Komposition.

Eine Sache noch, im Original heißt das Buch ‚The View from the Cheap Seats‘. Der titelgebende Aufsatz heißt im Buch auch ‚Die Aussicht von den billigen Plätzen‘. Warum das Buch selbst eine ungenauere Übersetzung erhalten hat, weiß ich nicht, aber es irritiert mich.

Beobachtungen aus der letzten Reihe von Neil Gaiman wurde übersetzt von Rainer Schumacher und Ruggero Leò und erschien bei Eichborn. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. 

 

Roman: Niemalsland von Neil Gaiman

Der erste Satz aus Niemalsland:

An dem Abend, bevor er nach London ging, amüsierte sich Richard Mayhew nicht besonders.

Richard ist ein Normalo in London, ein durchschnittlicher Job, eine normal unglückliche Beziehung, ein Leben, wie wir alle es kennen. Bis ihm Door vor die Füße stolpert, ein junges verletztes Mädchen.

Richard hilft ihr und gerät damit in ein Abendteuer in Unter-London. Der Version der Stadt, in der alle landen, die durch unser Raster fallen, alle, die an Straßenrändern sitzen und die wir versuchen, zu ignorieren. In Unter-London existieren all die Dinge, an die wir „Oberen“ nicht mehr glauben. Hier gibt es Magie und Zauberei, sprechende Tiere, Könige und Assassinen. Und Richard hängt da irgendwie mit drin.

Gaiman beschreibt eine Realität, die nah an meiner ist, dann dreht er langsam den Anteil der Fantasie hoch. Die Magie, die ich in unserer Wirklichkeit manchmal ahne. Ich folge ihm extrem gern durch diese phantastische Version eines Lebens. Durch die Hoffnung, dass es da noch mehr gibt.

Dabei ‚erklärt‘ Neil Gaiman in dieser Geschichte kleine Eigenheiten, die ich kenne. Zum Beispiel scheinbar sinnlos leere Bahnwaggons, die in Gaimans Version nur von Bewohnern von Unter-Londons betreten werden können.

Die Geschichte ist in ein paar Tagen durch, aber Charaktere wie Door bleiben bei mir. Genauso wie das verstärkte Gefühl, dass unsere Realität magischer ist, als wir im Alltag bemerken.

Niemalsland von Neil Gaiman wurde übersetzt von Tobias Schnettler und erschien bei Eichborn. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemlar zur Verfügung gestellt.