Schlagwort: Kurzgeschichten (Seite 1 von 2)

Stories: Good Home von T.C. Boyle

Der erste Satz aus Good Home:

Es gab zwei Arten von Wahrheiten: gute und schmerzhafte.

T.C. Boyle ist optimaler Alleinunterhalter. Jede Lesung ein Spaß, ähnlich die Romane. Good Stories kondensiert dies, 20 Einblicke in 420 Seiten. Boyle umgeht dabei oft das deutsche Prinzip einer Kurzgeschichte, gibt mehr einen Einblick in menschlicher Lebensumstände, die meinem sehr fern sind, als einen überraschenden Twist oder eine unerhörte Neuigkeit. Es ist Auffächern des Alltags.

Good Home ist wie ein Fernseher der regelmäßig und unkontrolliert den Kanal wechselt. Meist dann, wenn ich diesen Ausschnitt der Welt, die Motivation der Figuren und ihr Handeln, wenn schon nicht gutheißen, dann zumindest nachvollziehen konnte, wechselte der Sender. Mehr als einmal blätterte ich um, entrüstet, dass es nicht weitergeht. Nur um mich dann in die neue Situation einzufinden.

Nicht alle Geschichten haben mir getaugt, nicht alle Situationen fand ich interessant. Aber selbst sie sind Teil dieser Möglichkeit, in menschliches Handeln, meist in ihre Abgründe zu blicken. Dass ich nach den meisten Geschichten mehr wollte, quasi mitten im Ritt rausgeworfen wurde, war in den Momenten zwar ärgerlich, erhält die Erinnerungen aber umso leuchtender. Treibt die Fantasie umso weiter an.

Und, Hanser hat ein ziemlich schönes Cover und wertig gemachtes Buch hingelegt. Nicht nur wegen des Inhalts habe ich dieses Buch sehr gerne in der Hand.

Good Home von T.C. Boyle wurde übersetzt von Anette Grube und Dirk van Gunsteren und erschien bei Hanser. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. 

Buch: Stories of Your Life and others von Ted Chiang

Der erste Satz aus Story of your Life:

Your father is about to ask me the question.

Vor drei Monaten habe ich diesen Teaser für Arrival gesehen.

https://www.youtube.com/watch?v=gTrX8fRNLBc

Die Geschichte einer Linguistin, die beauftragt wird, eine Aliensprache zu übersetzen. Mehr musste ich von diesem Film nicht wissen, um sehr interessiert zu sein. Also suchte ich, ob es vielleicht ein Buch dazu gibt. Siehe da, gibt es, quasi. Der Film basiert nämlich nicht auf einem kompletten Roman, sondern auf einer Kurzgeschichte, was meistens ja viel besser ist, weil der Film dann überhaupt die Chance hat, die Geschichte in rund zwei Stunden zu erzählen.

Story of your life, Geschichte deines Lebens, so heißt die Geschichte, auf welcher der Titelfilm basiert. Ted Chiang ist der Autor. Ich hatte zuvor noch nie was von ihm gehört oder gelesen, aber nach drei Stunden hatte ich die Geschichte durch und war BÄM! Vorweg genommen: Neben Blauschmuck ist das für mich die Geschichte des Jahres. Science-Fiction, wie Science Fiction sein sollte: Nah an unserer Realität, philosophisch und immer unser eigenes Leben in Frage stellend. Hier natürlich verstärkt, weil ich gerne mit Sprache und ihrer Wirkung umgehe. Zu hören ist meine Begeisterung auch im Podcast des Literaturcafé, da habe ich über die Geschichte und das Buch geredet, noch bevor ich die Sammlung durchhatte.

Mittlerweile bin ich durch und immer noch begeistert. Chiang baut mit jeder Geschichte eine neue Welt, eine neue Prämisse, viele in einer möglichen Zukunft, manche in einer alternativen Gegenwart oder Vergangenheit. So gibt es  eine wunderbare Geschichte über den Turmbau zu Babel und was passiert, als die Menschheit am Himmelsgewölbe ankommt. Oder eine andere, in der regelmäßig Engel auf der Erde erscheinen und man den Seelen zusehen kann, wie sie entweder in den Himmel oder in die Hölle fahren.

http://wasuebrigbleibt.tumblr.com/post/152943728137/for-the-first-time-he-knew-night-for-what-it-was

Wunderbare Geschichten, über die man sich ewig unterhalten kann und ewig drüber nachdenken kann. Wer die Serie Black Mirror mag, bekommt hier ähnliches in Buchform. Im Podcast sagte ich noch, dass zumindest die Titelgeschichte gut auf englisch lesbar ist, es gibt aber auch Geschichten, an denen ich mit meinem Englisch an Grenzen komme, weil der Inhalt so abgefahren ist, dass es ganz gut ist, wenn man wirklich alles richtig versteht.

Witzigerweise hat Golkonda, der deutsche Verlag, diese Sammlung nicht einfach übernommen, sondern alle bis 2014 erschienenen Geschichten von Ted Chiang in zwei Erzählbände aufgeteilt, in Hölle ist die Abwesenheit Gottes (hier ist auch Story of your life enthalten) und Das wahre Wesen der Dinge. Wer englisch kann, kann den Großteil von Chiangs Geschichten kostenlos und legal online lesen, entweder auf seiner Wikipediaseite zu finden, oder hier.

Stories of Your Life and others von Ted Chiang erschien bei Picador, die deutschen Sammlungen Hölle ist die Abwesenheit Gottes (Übersetzt von molosovsky)  und Das wahre Wesen der Dinge (Übersetzt von Karin Will) erschienen bei Golkonda. Arrival, die Verfilmung der Titelgeschichte kommt am 24. November in die deutschen Kinos.

Buch: Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah von Haruki Murakami

Der erste Satz aus Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah:

Eines schönen Morgens im April komme ich auf einer kleinen Seitenstraße in Harajuku an dem 100%igen Mädchen vorbei.

Dies ist das erste Buch, das ich von Murakami gelesen habe. Ich habe schon viel über ihn gehört, viele Bücher liegen hier auch von ihm, aber bisher kam ich nicht dazu, sie zu lesen. Jetzt aber. Und zu Beginn diese Kurzgeschichtensammlung. Vielleicht schaue ich irgendwann zurück auf diesen Anfang meiner Murakami reise und sage, dies war kein guter Anfang. Aus dem jetzigen Standpunkt aber bin ich ganz zufrieden. Klar, nicht alle Geschichten gefallen mir. Aber viele. Und oft habe ich Sätze unterstrichen. Er schafft eine schöne Balance zwischen zwischen hochphilosophischen Gedanken und elementar derben Trieben. Und was am Ende übrig bleibt, war folgende Erkenntnis: Ich bin nicht alleine. Murakamis Geschichten zeigen mir deutlich, egal wie alt man ist oder wo man her kommt, es gibt elementare Gedanken und Gefühle, die sich einfach nicht ändern und die jeder hat. Oder zumindest Murakami und ich. Und allein dieses Gefühl war er wert, das Buch gelesen zu haben. Ich freue mich auf mein nächstes Werk von ihm, ich glaube, ich werde aber mit einem Roman weitermachen.

Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah von Haruki Murakami wurde übersetzt von Nora Bierich und erschien bei btb.

Buch: Fragen Sie nach Fritz von Husch Josten

Der erste Satz aus Fragen Sie nach Fritz:

P.S.: Ich habe Fritz getroffen.

Nach zwei Romanen liefert Husch Josten einen Kurzgeschichtenband nach. 10 Geschichten, die alle in irgendeiner Weise darum gehen, die verschiedenen Wahrheiten zu finden. Und tatsächlich sind sie alle Kurzgeschichten im ursprünglichen Sinne: Ein abrupter Beginn, ein plötzliches Ende und ein kurzer Ausschnitt aus den skurrilen Eigenheiten, die man in jedem Leben finden kann. Ich habe die Geschichten gern gelesen, aber leider ging es mir wie bei vielen Kurzgeschichten, ich war immer traurig, wenn sie so schnell vorbei sind und mich mit zu viel Interpretationsmöglichkeiten lassen. Deshalb waren das zwar schöne Worte, die da aneinandergereiht waren, aber ich freue mich dann doch wieder mehr auf einen Roman. Und laut meinem Interview mit Frau Josten kommt dieser auch als nächstes.

Fragen Sie nach Fritz von Husch Josten erschien bei Berlin University Press 

Buch: Sackaffen von David Grashoff

Der erste Satz aus Sackaffen:

Es ist 22 Uhr an deinem Geburtstag und du hast vor sechs Stunden und 42 Minuten mit mir Schluss gemacht.

Ich habe David Grashoff nie live gesehen und war erstmal vom Titel, vom Cover und vom Buchrücken eher abgeschreckt. Dachte, wow, das wird Niveaulimbo. Und Texte von einem Slam Poeten zu lesen, den man noch nie gesehen hat, hat sich bisher eher als schwer herausgestellt. Manchmal ist es aber ganz gut, mit wenig Erwartung an eine Sache ranzugehen. Den neben der obligatorischen Slamtexte und den Themen Drogen und Pornos habe ich einige Geschichten in dem Buch wirklich gern gelesen. Ich mag Davids Ideen und oft auch die Schreibe. Und ich hatte ein wirklich schönes Erlebnis mit diesem Buch:

Ich sitze in der Bahn, kurz vor einer Fahrt von einer Dreiviertelstunde und lese meinem Mädchen die Geschichte „Mein kleines Nerd-Mädchen“ vor. Ich bin fertig und warte auf ihre Reaktion, als eine Stimme sich entschuldigt und aus dem Vierer hinter uns hervorlugt. Die Frau, der die Stimme gehört, sagt, sie hatte ja unweigerlich zuhören müssen und wollte jetzt etwas dazu sagen. Sie setzt sich zu uns und wir verbringen die Zugfahrt mit vorlesen und über die Geschichten reden. mehrmals fragen andere Mitfahrer nach dem Namen des Autors und diskutieren und kritisieren. Sehr schön. Und eine gute Erinnerung zu einem Buch, welches ich irgendwie gern gelesen habe.

Was ich mir manchmal wünschte: Manche Ideen sind größer als die Texte, in denen David sie verarbeitet. Aus manchem könnte man ganze Erzählungen und Romane machen. Man könnte sich länger mit ihnen wohl fühlen. Aber vielleicht folgt das ja noch. Ich bin gespannt.

Sackaffen von David Grashoff, mit Illustrationen von Volker Konrad erschien im Lektora Verlag.