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Roman: Am Ende bleiben die Zedern von Pierre Jarawan

Der erste Satz aus Am Ende bleiben die Zedern:

Alles pulsiert, alles leuchtet.

Vor knapp vier Jahren hat Pierre sein erstes Buch rausgebracht, eine Sammlung am Slam-Texten. Jetzt folgt sein erster Roman. Ein Roman über Samir, einen Libanesen, der in Deutschland aufwächst und dessen Vater verschwindet, als er 8 Jahre alt ist. 20 Jahre später macht sich Samir in Beirut auf die Suche nach seinem Vater.

Ich mochte das erste Kapitel sehr. Pierre startet mit einer Szene, in der es um eine Satellitenschüssel geht.  Ich mochte die Atmosphäre, die Worte, wie Pierre es in dieser ersten Szene schaffst, den Vater in seiner einzigartigen Art zu zeichnen. Unglaublich schön. Ich habe das erste Kapitel nicht nur selbst gelesen, sondern auch in meiner WG vorgelesen, weil ich es so toll fand.

Pierre startet aus diesem extrem hohen Niveau, in dieser wunderbaren Sprache alter Erzähler, aber dieses kann der Roman meiner Meinung nach nicht halten. Aus verschiedenen Gründen.

Der Roman verwebt die Reise Samirs nach seinem Vater in Beirut mit Rückblenden in seine Vergangenheit, erzählt von der Zeit vor und nach dem Verschwinden des Vaters. Mir sind diese Rückblenden manchmal zu lang oder an Stellen gesetzt, an denen sie mich nicht so sehr interessieren. Klar sehe ich die Notwendigkeit, sehe ich alle Zirkelschlüsse, die Pierre aufbaut und auflöst, aber manchmal wollte ich bei den Rückblenden einfach weiterblättern, wollte wissen, was bei der aktuellen Reise passiert. Und dann fühlt sich das im Nachhinein manchmal so an, als ob die Rückblenden etwas hölzern eingearbeitet sind, um die Geschichte plausibel zu machen. Das ist schade, weil ich so gern mit Samir durch Beirut gegangen bin. Mochte das Bild, das er zeichnet. Pierre hat in mir die Sehnsucht geweckt, dieses Land wirklich zu sehen. Deshalb hat es mich gestört, wenn ich da rausgerissen worden bin, um noch mehr aus der Vergangenheit in Deutschland zu lesen.

Dann gab es noch zwei weitere Sachen, die am Ende Schatten geworfen haben. Einerseits benutzt Pierre diesen Kniff, dass er den Leser manchmal weniger wissen lässt, als den Erzähler. Es gibt mehrere Stellen, wo klar ist, der Erzähler weiß schon etwas, was der Leser erst Seiten später erfährt. Das hat mich schon bei Mr. Mercedes von Stephen King extrem genervt.

Bei der Qualität von Am Ende bleiben die Zedern braucht es diesen einfachen Trick, Leser bei der Stange zu halten, nicht. Klar konnte man sich oft denken, was er erfahren hat, aber ich habe mich als Leser dadurch manchmal hingehalten gefühlt. Kein schönes Gefühl.

Und als letztes eine Sache, die man als Spoiler auffassen könnte, deshalb: Ich habe mich angestrengt, nicht zu spoilern, aber im Zweifelsfall nicht weiterlesen!

Ich habe gewarnt.

Alles, was in Samirs Leben scheiße gelaufen ist, kann er auf seinen Vater schieben. Alle Ticks und Probleme, die er hat, rühren vom Verschwinden seines Vaters. Soweit, dass er diese Reise und diese Suche machen muss.
Jetzt passiert am Ende des Romanes etwas und dann ist alles gut. Und ich sitze als Leser da und denke, echt jetzt? Am Ende hat Pierre mich verloren. Nach dieser ganzen Geschichte konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass sich Samir so verhält, wie er es in am Ende tut.
Und das wirft für mich den größten Schatten auf ein tolles Buch, mit dem ich gern Zeit verbracht habe. Das fand ich echt schade.

Das tolle ist, Pierre und ich kennen uns schon eine Weile und ich habe ihm meine Kritik und meine Probleme mit seinem Werk erzählt. Und er sagt, so ziemlich genau diese Irritation am Ende wollte er haben. Insofern kann ich sagen, Ziel erreicht, Pierre!

Mit Am Ende bleiben die Zedern legt Pierre Jarawan eine tolle Erzählung ab, die mir echt Spaß gemacht, wobei mich das Ende aber ernüchtert hat. Trotzdem, man schmeckt den Wind in Beirut, man lernt mehr über den Nahost-Konflikt und lernt mal wieder, dass jeder Mensch auf dieser Welt, egal, woher er kommt, erstmal Mensch ist. Und manchmal muss man daran erinnert werden.

Am Ende bleiben die Zedern von Pierre Jarawan erschien beim Berlin Verlag. Das Hörbuch wurde gesprochen von Timo Weissschnur und Walter Kreye. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Buch: Anders sein ist ganz normal von Pierre Jarawan

Das ist es also, Pierre Jarawans Anders sein ist ganz normal. Pierre ist Slam Poet aus Kirchheim Teck und Student in München, jetzt hat er eine Sammlung seiner Texte zwischen zwei Buchdeckel gepackt und bei Lektora veröffentlicht. Auf 119 Seiten tummeln sich Pierres Slamtexte, Variationen von Redewendungen und Texte, die extra für das Buch geschrieben wurden. Und es sind tolle Texte dabei. Als ich mich durch das Buch las, hatte ich andauernd Pierres Stimme im Ohr gehabt. Das ist unglaublich cool, aber gleichzeitig auch der Genickbruch des Buches. Ich glaube, die 24 Geschichten sind schön für Menschen, die Pierre schonmal live gesehen haben und die Texte nochmal nachlesen wollen, um all die wunderbaren Wortspiele, Gedankenbilder und Traumgebilde wiederholt zu erleben. Jemand aber, der mit dem Namen Pierre Jarawan nicht kennt, wird meiner meines Erachtens leider nicht in diese Stimmung kommen und deshalb kaum etwas mit den Texten in Anders sein ist ganz normal kaum was anfangen.

Deshalb, wenn ihr Pierre schon kennt, wird euch dieses Buch große Freude machen. Alle anderen lesen das Interview mit Pierre, lernen ihn dadurch kennen und kaufen sich dann das Buch 😉

Anders sein ist ganz normal von Pierre Jarawan erschien bei Lektora. Ein Hörbuch gibt es bisher nicht. Wäre die logische Entwicklung.

Interview: Pierre Jarawan, Slam Poet und Autor von „Anders sein ist ganz normal.“

Pierre Jarawan, Slam Poet aus Kirchheim Teck, hat seine Texte sortiert und in ein Buch gepackt. Anders sein ist ganz normal ist der Titel und der rote Faden dieser Sammlung an Texten und Gedichten. Heute morgen hat er sich die Zeit genommen, mir ein paar Fragen zum Buch, zur Kunst und zu allem anderen zu beantworten. Dabei saß ich in Fellbach und er… zumindest nicht bei mir. Aber das Internet macht ja vieles möglich. Ein Schreibgespräch, unter anderem über das Schreiben.

Fabian: Pierre, ich hab‘ in den letzten Tagen dein Buch lesen dürfen und ich muss sagen, bei fast jedem der Texte im Buch habe ich deine Stimme im Ohr gehabt.
Pierre: Das freut mich, weil das natürlich der Idealfall ist. Text und Vortrag gehen ja normalerweise Hand in Hand.

Aber andererseits habe ich Texte gefunden, die du – glaube ich – noch nie auf einer Bühne gemacht hast, oder?
Das stimmt. Das war mir auch wichtig. Ich glaube, das bringt ein gewisses Gleichgewicht in das Buch.

Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Texten, die du „für’s Hören“ schreibst und Texten, die explizit gelesen werden sollten? Also, schreibst du dann schon ganz anders?
Ja, aber der Unterschied ist nicht sehr groß. Einen Bühnentext strukturiere ich einfach anders. Die Effekte, die man damit erzielen will, sollten ja an der richtigen Stelle kommen. Außerdem muss man bedenken, dass die Zuschauer in der Regel nur 5-7 Minuten Zeit haben. Also schaue ich, dass ich keine allzu komplexen Bilder nehme, weil dann die Gefahr besteht, dass die Zuhörer sich in einem Bild verfangen, während der Text weiterläuft. Jemand, der einen Text liest, kann ihn sooft er will lesen – die Zuhörer haben immer nur diesen einen Moment.

Es sei denn, sie lesen sie nach.
Genau!

Eine Sache, die mir beim Lesen aufgefallen ist, sind die fließenden Übergänge von Lyrik in Prosa. Manche Texte sehen lyrisch aus, reimen sich aber nicht immer, aber plötzlich taucht eben doch ein Reimpaar auf. Wie sehr unterscheidest du zwischen Lyrik und Prosa? Und, falls man das fragen kann, welche Form ist dir lieber?
Ja, das stimmt. Ich mag diese Art zu Reimen sehr, weil sie so ungezwungen ist. Man hat einfach einen größeren Spielraum. Die Übergänge zwischen Lyrik und Prosa sind oft fließend. Ich habe eigentlich keine Form, die ich lieber mag. Ich finde, es gibt Themen, die eignen sich besser für Lyrik und andere, die eigenen sich besser für einen Prosatext, aber auch das kann man nicht grundsätzlich sagen.

Und dann sind da noch diese „Variationen einer Redewendungen.“ Machst du das auch auf der Bühne? Oder wie kam es zu diesen Kürzesttexten?
Nein, höchstens Mal als Zugabe. Damit wollte ich einfach nur Redewendungen und Aphorismen hinterfragen, von denen die meisten glauben, sie seien besonders weise oder würden viel hergeben, wobei sie eigentlich eher oberflächlich sind.

Ein indirekter Aufruf, kritisch zu sein und nichts einfach so hinzunehmen?
Ja, im Prinzip sogar ein direkter Aufruf, die Dinge, die man liest, auch zu hinterfragen.

Hinterfragen, bzw. Kritisieren ist ein ganz gutes Stichwort. Seit Oktober bist du ja in München und studierst Theater-, Film- und Fernsehkritik. Wie ist der erste Eindruck?
Der erste Eindruck ist super. Wir sind an der Hochschule für Fernsehen und Film untergebracht, das Gebäude ist großartig, die Kommilitonen ebenfalls und die Kurse sind sehr interessant. Ich habe im Moment ziemliches Glück mit allem.

Was genau muss man sich denn unter dem Begriff vorstellen? Was sind denn die Ziele und Inhalte des Studiums? Und wieviele studieren das?
Im Prinzip genau das, was er aussagt: Man wird da zum Kritiker ausgebildet, zum Kulturjournalisten. Mit einem gewöhnlichen Studium ist das nicht zu vergleichen. Jedes Jahr werden etwa 5-7 Studenten angenommen, man studiert also in relativ kleinen Gruppen, kann viel produktiver arbeiten und der Praxisbezug ist sehr hoch. Inhalte des Studiums sind beispielsweise regelmäßige Besuche im Theater und Kino und Seminare wie „Musik im Horrorfilm“, „Feuilletonanalyse“, „Filmgeschichte“ und so weiter. Ab und zu kommen Journalisten von außerhalb und geben Seminare zum Thema „Interview“ oder „Reportage“.

Ist es schöner, selbst Kunst zu schaffen oder die Kunst anderer zu kritisieren?
Kunst selbst zu schaffen ist schöner. Kunst zu kritisieren ist aber natürlich wichtig. Der Begriff „Kritik“ bedeutet ja nicht, per se etwas Negatives über einen Gegenstand zu sagen, es gibt ja auch positive Kritik. Kritik ist wichtig für die Entwicklung der Kunst.

Du hast es vorher schon kurz anklingen lassen, du hast im Moment ziemlich viel Glück mit allem: Das Buch, das Studium deiner Wahl und vor kurzem auch noch baden-württembergischer Poetry Slam Landesmeister. Habe ich etwas Wichtiges vergessen?
Nein, das ist ja auch mehr als genug.

Auf jeden Fall! Mit dieser Antwort nimmst du auch meine nächste Frage ein wenig vorweg: Bist du eher der Typ, der dann einfach mal alles Erreichte genießen kann oder strebst du gleich weiter?
Irgendwie beides. Ich genieße das alles im Moment sehr, aber ich finde es wichtig, sich nicht auf Erreichtem auszuruhen. Damit meine ich nicht möglichst viele Titel und Preise zu gewinnen – das kann man ohnehin nie planen – sondern, dass ich mich künstlerisch weiterentwickeln will.

Du bist ja extrem viel als Slam Poet unterwegs, fast jedes Wochenende. Ist dann überhaupt Zeit für extra Lesungen aus dem Buch?
Ja, aber im Moment versuche ich da ein Gleichgewicht herzustellen, also weniger Slams und mehr Solo-Shows zu machen.

Gibt es eine Anlaufstelle, wo man all deine Auftrittstermine findet?
Es gibt eine Facebook-Fanpage, wo ich regelmäßig poste, wo ich in den nächsten Wochen auftreten werde. Ansonsten hoffe ich, dass ich jetzt endlich bald eine Homepage zustande bekomme.

Gibt es bei all deinem Tun ein Projekt, was in nächster Zeit deine Aufmerksamkeit am meisten beanspruchen wird?
Neben dem zeitaufwändigen Studium will ich vor allem versuchen, die Solo-Show weiterzuentwickeln, um damit noch mehr auf Tour gehen zu können.

Zum Abschluss eine ganz andere Frage: Du bist zwar in Kirchheim Teck aufgewachsen, aber geboren bist du in Amman, Jordanien. Gibt es eine Eigenschaft, eine Sache an dir, von der du sagst, du hast sie von dort mitgebracht?
Nichts, was ich spontan anbringen könnte, ich finde, in mir eine ganz gute Mischung aus deutschen und libanesischen Einflüssen – mein Vater ist ja Libanese.

Eine Mischung ist immer gut. Pierre, vielen Dank für deine Zeit und die schönen Antworten! Ich wünsche dir viel Erfolg mit dem Buch, deinem Studium und natürlich mit dem Soloprogramm und ich hoffe, wir sehen uns bald auf einer Bühne wieder. Alles Gute dir!
Danke dir!

Meine Rezension von Anders sein ist ganz normal folgt bald, mehr über Pierre findet ihr auf seiner Facebook-Seite und im Lektora Interview.