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Und plötzlich werden die Probleme in der Ukraine persönlich.

Ein Bericht über COOLture Bridge, ein Treffen von jungen Erwachsenen aus der Ukraine, Polen, Weißrussland und Deutschland.

Es sind die unauffälligen, kleinen Dinge, die die größten Überraschungen bereithalten. Dieses Mal dieser Aufruf in einem sozialen Netzwerk. Eine Freundin schreibt, „Lust auf kostenlosen Urlaub in den Bergen in Polen?“ Nicht ganz die Wahrheit, aber eine Überschrift, die mich weiterlesen lässt.

Es geht um ein Treffen junger Menschen, aus der Ukraine, Polen, Belarus und Deutschland. Für rund 10 Tage sollen sie in einer Jugendherberge in der Nähe von Krakau zusammenkommen und sich über die jeweiligen Länder austauschen, Vorurteile bekämpfen und Freundschaften schließen. Und ich dachte, naja, das ist kein Urlaub, aber das könnte trotzdem witzig werden.

Bis es losgeht, gibt es einige Probleme. Andauernd wechseln die Teilnehmer der deutschen Gruppe. Eigentlich hätte es ein Vortreffen in Deutschland geben sollen, dazu kommt es aber nicht, weil bis zum letzten Tag vor der Abfahrt nicht klar ist, wer genau mitkommt. Die Gründe sind vielfältig, besonders ironisch ist dieser: Eine Teilnehmerin ist türkischer Herkunft und ohne deutschen Pass und die Ausländerbehörde lässt sie zu einer Zusammenkunft internationaler Kulturen nicht ausreisen.

Trotzdem müssen einige Sachen geklärt werden: Was stellen wir vor, wenn wir an der Reihe sind? Wer hat eine deutsche Flagge zuhause? Was sind traditionelle deutsche Tänze? Und was gilt als deutsches Essen?

Trotz aller Widrigkeiten sitze ich iergendwann mit einem Alex in einem Auto und wir fahren los. Damals kennen Alex und ich uns nur flüchtig. Aber er kommt auch dem Süden Deutschlands und ein Roadtrip nach Polen könnte ein guter Auftakt für diese Reise werden. Also fahren wir in zwei Tagen mehr als 1000 Kilometer, reden, erzählen, fragen, und freunden uns an und irgendwann sagen wir, selbst wenn alle anderen Leute auf diesem Cool-tur Austausch nur Nerds und komische Menschen sind, die sich nur über Politik unterhalten wollen, dann haben wir wenigstens uns. Aber dann.

33 Menschen, im Alter von 17 bis 33 Jahren, aus vier Nationen. Am ersten Abend sitzen wir noch an einzelnen Tischen, Alex und ich am Vegetarier-Tisch. Doch schon am nächsten Morgen ist aus den Tischen eine große Tafel geworden. Natürlich ist es da schwerer, an die hinten Plätze zu kommen, aber wir sitzen alle zusammen. Vielleicht ist das das deutlichste Zeichen, wie schnell aus einzelnen Menschen, vier Delegationen europäischer Länder, eine Gemeinschaft geworden ist.

Wir haben acht ganze Tage miteinander und jeder Tag ist voll mit Programm. Vier Tage sind jeweils einem Land gewidmet, samt traditionellem Frühstück, Trachten, Tänzen und Liedern. Nachmittags wird dann gemeinsam ein Nationalgericht aus dem Land gekocht. Und wir Deutschen merken, dass es sowas gar nicht gibt, ein traditionelles Gericht, welches überall in Deutschland gegessen wird. Also machen wir am deutschen Tag Linsen mit Spätzle und Würstchen. Und ironischerweise bin ich selbst in der deutschen Gruppe der Einzige, der das schonmal gegessen hat. Aber ich greife vor. Der erste Tag gehört den Menschen aus der Ukraine. Und er sitzt.

Wir hatten einen tollen Start, alle kennen sich und wir sind die ganze Zeit am Lachen und Scherze machen. Und dann, nachdem wir gemeinsam ukrainisch gekocht haben, geht es abends an die Präsentation des Landes. Und spätestens jetzt ist klar, dass die Menschen nicht den gleichen Alltag haben, den wir haben. Sie haben Krieg. Also kriegen wir aus erster Hand erzählt, wir es ist, als junger Mann in der Ukraine in fünf Tagen für die Armee ausgebildet zu werden. In einem Land, dass komplett zerrissen ist. Da sind auf der einen Seite die Generationen, für die die Zeit in der Sowejtunion eine glanzvolle Erinnerung ist und die sich sicher sind, dass alle Länder im Westen der Ukraine etwas Böses wollen und in Deutschland alle Nazis sind. Und dann gibt es aber auch die Leute, besonders die jüngeren, die sich gerne an den Westen annähern wollen. Leute, die sich nicht alles erzählen und sagen lassen wollen, sondern es selbst erleben wollen. Sich selbst ein Bild machen wollen. Und diese beiden Seiten prallen in der Ukraine aufeinander, jeweils unterstützt von Russland und der EU. Da ist der Kerl, der nur vier Jahre älter ist, als ich. Und er erzählt, wie russische Panzer in ukrainische Städte schießen und die Einwohner der festen Überzeugung sind, dass das nicht die Russen sind. Er zeigt uns Bilder und erzählt uns, wie er selbst bei den Schlachten dabei war.

Wir diskutieren bis spät in die Nacht, versuchen zu verstehen und sind mehr als einmal sprachlos. Und denken daran, dass wir am nächsten Tag Deutschland zeigen wollen, mit Knoppers und Oktoberfest und Haribo. Wie kann das noch wichtig sein, nachdem wir diese Dinge aus der Ukraine gehört haben?

Aber das ist die andere Seite dieses Austausches. Jeder ist hier, nicht nur, um von seinem Land, seiner Situation, seiner Lebenslage zu erzählen, sondern auch, um zu lernen, wie es den anderen geht, wie andere leben, was die Probleme der anderen sind. Und das haben wir gemacht.

Acht Tage lang haben wir gemeinsam gelebt, gelernt, gelacht und diskutiert. Getanzt, gelaufen, gespielt und geweint. Wir haben alle wenig geschlafen, denn das können wir zuhause wieder tun. Wir haben lieber kommuniziert. Brücken gebaut, Bande geknüpft, und Freundschaften geschlossen.

Und klar, auf der einen Seite sind wir alle anders. Unsere Kulturen haben viele Ähnlichkeiten, aber auch einige Unterschiede. Und ich als alkoholfreier Vegetarier bin sowieso nochmal anders. Aber auf der anderen, der viel größeren und wichtigeren Seite sind wir alles Menschen. Mit den gleichen Sorgen und Problemen. Mit dem gleichen Humor und dem gleichen Drang, glücklich sein. Für manche Menschen in der Gruppe ist dieser Austausch das erste Mal, dass sie ihr Heimatland verlassen. Verlassen können. Und obwohl sie ihre Heimat lieben, heißt das auch, zurückzukehren in ein Land, dass nicht die gleichen Freiheiten bietet, wie es beispielsweise Deutschland tut.

Dann sind die Tage vorbei, viel zu schnell, natürlich. Wir verabschieden uns, tränenreich und voller Umarmungen, mit vielen Versprechen und Wünschen und Zielen. Jeder geht in sein Land zurück, seinen Alltag. Und jeder lacht und weint dabei. Weil wir uns natürlich freuen und gleichzeitig die anderen vermissen werden und auch wissen, wie die anderen leben.

Alex und ich sitzen im Auto, wir verlassen Krakau in strömendem Regen, die Straße halb überschwemmt. Vor uns liegen noch anderthalb Tage Fahrt. Ziemlich viel Zeit davon verbringen wir schweigend. Wie wenn man langsam aus einem Traum erwacht, den man erst abspeichern muss und irgendwie auch verstehen muss, dass es jetzt zurück geht in die Realität. Und wir sprechen es nicht nochmal an, aber unsere Befürchtungen von der Hinfahrt haben sich definitiv nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, wir entfernen uns von einer Zeit voller schöner und intelligenter Menschen, die in kürzester Zeit Freunde geworden sind und mit denen wir, neben vielen anderen Sachen, auch extrem gern und viel über Politik geredet haben.

Jetzt sind wir wieder zuhause und sofort überlagert der Alltag die Erinnerung und was uns für an diesen Tage wichtig war, gerät in die Gefahr, in den Schlagzeilen des Alltags unterzugehen. Wir gehen arbeiten und klinken uns wieder ein in die Geschwindigkeit, die unser Leben davor hatte. Machen uns Gedanken über Flüchtlinge. Aber auch darüber, dass die Bahn mal wieder zu spät kommt und was wir heute Abend zu essen machen könnten.

Aber gleichzeitig sind wir aufmerksam, denn unsere Freundesliste ist nicht nur auf Facebook um rund 30 Leute gewachsen. Wir halten Kontakt in Länder, von denen wir zuvor nicht mehr als den Namen kannten. Zu Menschen, die wir hoffen, wiederzusehen. Wir lesen Nachrichten aus Polen, Belarus und der Ukraine aufmerksamer. Und wir reden mit unseren Freunden über die Probleme in anderen Ländern. Denn jetzt sind die Probleme persönlich geworden.

Dieser Ausflug hat sich gelohnt und sein Ziel erreicht. Genau für solche Ergebnisse und Ereignisse ist Erasmus+ da. Um Menschen zu vernetzen und uns weiter zusammenwachsen zu lassen. Wenn ich die Möglichkeit habe, bin ich sofort wieder dabei. Und ich rate euch, tut das Gleiche.


In Deutschland gibt es einige Organisationen, die Austausche und ähnliches ermöglichen, hier sind ein paar davon aufgelistet. Wenn Wichtiges fehlt, einfach Bescheid geben.

Nachrichten aus der Ukraine gibt es in englischer Sprache auf Censor.net und UNIAN News.

Postkarte: Reisebus versus Fiat 126

Gestern kam wieder eine leere Postkarte an. Naja, fast leer. „Hihi…” steht auf der Rückseite. Ansonsten leer. Bin ich ja ein bisschen gewöhnt. Und ist jedesmal toll. Diesmal kommt eine tolle Schwarz-Weiß-Postkarte, auf der ein riesen Reisebus und ein kleiner Fiat 126 nebeneinander zu sehen Eigentlich sogar ein ausgedrucktes Foto, keine gekaufte Postkarte. Und ich denke, geil! Wie meiner! Ich denke, die ist bestimmt von Viktor, er ist gerade in Polen unterwegs.

Aber die Schrift? Und die Briefmarke aus Deutschland. Und dann erkenne ich, die Schrift der Welt besten großen kleinen Schwester. Und das dieses Foto auf der Heimfahrt aus Polen gemacht worden ist. Und das der Fiat auf dem Foto meiner ist. Und der Typ am Steuer ich bin! Was das Ganze nochmal etwa 1000 schöner macht!

Danke, Schwester!

Mein erstes Auto

Ich sehe den Bus einfach mal nicht als Auto. War er ja auch nicht. Dann ist also dieser kleine Wagen mein erstes Auto. Die Geschichte dazu geht so:

Meinen polnischen Wurzeln geschuldet habe ich einen großen Teil meiner Kindheit in Polen verbracht. Und wie es bei uns den Käfer und in England den Mini gab, fuhr dort der in Lizenz gebaute Fiat 126 (aka Maluch aka Bambino aka Personal 4) als echter Wagen des Volkes durch die Gegend. Von 1972 bis 2000 wurde dieser dort gebaut und in die Welt exportiert. Er gilt als der direkte Nachfolger des alten Fiat 500 und teilt sich mit ihm auch einen großen Teil der Bauteile.

Sein älterer Bruder ist schon längst weltweit Kult, der Fiat 126 dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten. Selbst auf den polnischen Straßen ist er kaum noch zu finden und langsam wird auch er zum Sammlerobjekt. Ein jedes Mal, wenn ich in Polen war und dieses Auto dort gesehen habe, wollte ich eines haben. Meine Mutter schüttelte den Kopf, sicherheitstechnisch ist der Wagen nichts anderes als ein Roller mit Dach. Mein Vater schüttelte den Kopf, er hatte seinerzeit einen Fiat 500 und hat mehr Zeit unter dem Auto, als in ihm verbracht. Jahrelang also trauerte ich nach dem Urlaub, bis ich den Wagen vergaß und er mir erst ein Jahr später wieder einfiel. Und dieses Jahr dachte ich, okay, gehen wir gegen all die Widerstände und kaufen diesmal so einen Wagen. Also, wir im Sinne von ich.

In Polen also nehme ich mir das dortige Internet und die Kleinanzeigen vor, lasse von Google und meinen Verwandten übersetzen und fahre schließlich mit meinem Onkel (Mechatroniker und der polnischen Sprache mächtig) und einem Freund (Bastler) diesen kleinen Wagen begutachten. Er steht da, in seinem kastanienrotem Gewand und das Nummernschild enthält sogar eine 42. Wir lassen den Wagen laufen, klettern in die Grube, sehen den Wagen von unten an und im Endeffekt kaufe ich ihn. Einen Tag später lasse ich noch das Öl wechseln, dann geht es quer durch Tschechien nach Deutschland.

Bis nach Prag fahre ich, dann wechsle ich mit meinem Vater die Plätze, der Rest der Familie ist im Wohnmobil hinter uns. Der Weg durch Prag ist verwinkelt und verwirrend, wenn man nicht die kilometerlange Umgehungsstraße nutzen will. Wir kommen ganz gut durch und sind rund 300 Kilometer gefahren und überschreiten die Grenze nach Deutschland, als es FUMP macht und aus dem Motorraum hinten ein komisches schleifendes Geräusch gibt. Also Warnblinker rein und rechts ran, das Wohnmobil hinter uns. Ein Blick in den Motor zeigt, dass die Keilriemenscheibe an der Lichtmaschine nicht mehr sauber aufsitzt. So ist kein Weiterfahren möglich. Also den ADAC anrufen, dafür ist mein Vater jahrelanges Mitglied und hat die Leistungen noch nie in Anspruch nehmen brauchen. Und da er glücklicherweise in diesem Moment gefahren ist, können wir diese nun in Anspruch nehmen. Wäre ich gefahren, hätte ich in diesem Moment meine Mitgliedschaft abgeschlossen. So dachte ich. Dieser Teil mit dem ADAC wurde noch zum Desaster, aber das gibt es gesondert in einem eigenen Beitrag, der bald folgt.

Irgendwann kommt der Abschleppwagen im Auftrag des ADAC und ist total begeistert von diesem kleinen Auto. Es sei schon immer ein Traum von ihm gewesen, solch ein Gefährt zu besitzen. Und er würde es uns direkt abkaufen. Meine Eltern nicken mir zu, aber ich schüttele den Kopf. Der Kleine ist zwar noch nicht lange in meiner Obhut, aber mir schon sehr ans Herz gewachsen. Also wird er aufgeladen und ein paar Kilometer weiter an der Werkstatt abgestellt. Es ist früher Abend, da wird nichts mehr passieren. Also lassen wir den Kleinen da und fahren schweren Herzens alle im Wohnmobil weiter.

Eine Woche später ist klar: Die Reparatur dort in der Werkstatt ist zu teuer, wir werden den Wagen selbst die restlichen 300 Kilometer nach Hause bringen müssen. Warum das nicht der ADAC machte, kommt im baldigen Beitrag.

Wir leihen von Freunden sowohl ein Auto mit Anhängerkupplung und einen Autoanhänger und weil mein Führerschein nur noch ein zulässiges gesamtgewicht von 3,5 Tonnen erlaubt, muss mein Vater dieses Gespann den gesamten Weg fahren. Um 3 Uhr in der Früh geht es gen Bayern, um um 8 Uhr den Wagen dort aufzuladen und nach einigen kleineren Komplikationen geht es zurück. Insgesamt, bis alles wieder bei den richtigen Leuten abegegben ist und ich zu Hause bin, sind 22 Stunden vergangen. Innerhalb dieser ist auch obiges Bild entstanden.

Kurz darauf kommen die bestellten Teile, ein Bruchteil der Kosten, die in der Werkstatt auf mich zugekommen wären. Ich baue sie mit Hilfe meines Vaters und oben erwähnten Freundes ein und alles funktioniert. Der Wagen kommt zur nächsten Werkstatt, bei der man den TÜV abnehmen kann, bekommt vier neue Reifen und ich habe einen Zettel auf dem „keine Mängel“ steht. Es geht zur Zulassungsstelle und problemlos wieder raus.

Und jetzt steht er hier. Selbst in Polen gekauft, selbst hergebracht und selbst auf die deutschen Straßen gebracht. Mit den Nummernschildern des Busses. Der Geist lebt also weiter. 🙂 Wahrscheinlich werde ich nun immer mal wieder von dem Kleinen berichten. Ist nämlich wirklich ein Süßer.