Schlagwort: Rezension (Seite 1 von 46)

Roman: Momo von Michael Ende

In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch in ganz anderen Sprachen redeten, gab es in den warmen Ländern schon große und prächtige Städte.

Der erste Satz aus Momo

Vor langer Zeit in einem warmen Land taucht da plötzlich dieses Mädchen auf, mit großen schwarzen Locken und großen schwarzen Augen, die dir direkt in die Seele gucken, wenn sie dir zuhört.

Momo ist vor 40 Jahren veröffentlich worden, schon damals als zeitloses Märchen und das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum dieses Buch auch heute noch so gut funktioniert. Weil wir heute mehr denn je in einer Welt leben, in der Zeit und Aufmerksamkeit immer knapp sind. Und wie bei jedem guten Kinderbuch resoniert es auch nach all den Jahren immer noch in mir.

So viele Gedanken, die Michael Ende sich vor 40 Jahren gemacht hat, sind immer noch relevant, spielen in meinem normalen Alltag eine Rolle. Ich wünsche mir eine Momo in meinem Leben und ein bisschen mehr von Momo in mir. Und die Stärke, mich gegen die grauen Herren zu stemmen, in welcher Form auch immer sie kommen.

Momo von Michael Ende erschien bei Thienemann.

Roman: Nordstadt von Annika Büsing

„Ich liebe dich“, sage ich.

Der erste Satz aus „Nordstadt

Ich hätte nicht freiwillig zum Buch gegriffen. Titel und Cover haben mich nicht angesprochen und mit Steidl habe ich bisher andere Bücher in Verbindung gebracht. Aber im Rahmen meiner Juryarbeit bei Das Debüt lag dieses kleine Büchlein plötzlich auf meinem Tisch. Also dann, aufgeschlagen.

Ich hab die Lektüre zwar ein paar Mal unterbrechen müssen, aber tatsächlich fühlt es sich an, als ob Annika Büsing mich mit ihrer Geschichte und ihrer Sprache vollkommen in den Bann gezogen und nach einem wilden Ritt wieder ausgespuckt hat. Nene ist Anfang 20 und Bademeisterin, und das ist vielleicht das einzig Gute in einem richtigen Scheißleben. Und dann steht da Boris, der Krüppel mit einem eigenen Scheißleben. Reicht das, was auch immer zwischen ihnen ist, um zwei schlimme Vergangenheiten auszuhebeln?

Büsings Sprache ist direkt und dreckig, ist ehrlich und schmerzhaft im besten Sinn.

Nordstadt geht unter die Haut und beschäftigt mich noch Wochen später. Ich freue mich auf mehr solcher Geschichten und auf noch mehr von Annika Büsing. Ein Glück ist das neue Buch schon draußen.

Nordstadt von Annika Büsing erschien bei Steidl. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Hörbuch: Was im Dunkeln liegt von Harlan Coben, gelesen von Gabriele Blum und Detlef Bierstedt

Im Alter von etwa vierzig bis zweiundvierzig Jahren – er wusste nicht genau, wie alt er war – fand Wilde endlich seinen Vater.

Der erste Satz aus Was im Dunkeln liegt.

Ich hab mich so gefreut auf dieses Buch. Der Junge aus dem Wald war großartig und nach einer Weile konnte ich auch Detlef Bierstedt gut zuhören. Wilde ist ein toller Charakter und ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht.

Jetzt gibt es diesen zweiten Teil. Wilde, der Junge aus dem Wald, findet endlich seine Wurzeln. Denkt er zumindest. Und es gibt einen neuen Fall, bei dem er helfen muss. Und natürlich ist dieser Fall auch irgendwie mit ihm verbunden.

Ich mag Harlan Coben und seine Geschichten, besonders als Hörbücher. Und ich will auch diese mögen. Aber irgendwie werde ich diesmal weder mit der Geschichte noch mit Detlef Bierstedts Leistung als Sprecher warm. Gabriele Blum macht ihre Sache wunderbar, aber Bierstedt, der mir schon vor zwei Jahren müde oder erschöpft vorkam, kommt mir vor, als kämpft er sich durch das Buch. Ich hab Bierstedt vor zehn Jahren bei einer Primavista-Lesung mit Oliver Rohrbeck gesehen und ich mag ihn als Mensch und auch seine Sprechkunst. Es tut mir auch wirklich leid, aber ich finde, man hört ihm mittlerweile das Alter und eben eine gewisse Müdigkeit an, die einem Text nicht gerecht wird. Das ist wirklich schade. Und dazu kommt, dass die Geschichte diesmal auch nur okay ist. Während mir vom ersten Buch immer noch einiges in Erinnerung ist, habe ich von diesem – obwohl es mit ganz vielen aktuellen Bezügen arbeitet und Dinge wie Trolle und Hass im Internet thematisiert – kaum mehr was im Kopf. Dafür war es einfach nicht gut genug. Wirklich schade. Natürlich werde ich mir den nächsten Teil auch anhören, aber ich freue mich auf eine bessere Geschichte als dieses Mal.

Was im Dunkeln liegt von Harlan Coben, übersetzt von Gunnar Kwisinski und gesprochen von Detlef Bierstedt und Gabriele Blum, erschien bei der Hörverlag.

Hörbuch: Die Träume anderer Leute von Judith Holofernes, gelesen von Nora Tschirner

Als Kind habe ich wieder und wieder von Zyankali geträumt. Ich weiß nicht, wie das Gift seinen Weg in mein Kinderzimmer gefunden hatte. Da sind schemenhafte Erinnerungen an Kriegs- und Agentenfilme, in denen Bösewichte silberne Kapseln zerbeißen und sich schäumend und röchelnd dem Zugriff entziehen. Vielleicht hatte ich auch schon eine vage Vorstellung von dem, was Goebbels mit seinen Kindern im Bunker gemacht hatte.

Der erste Absatz aus Die Träume anderer Leute

Judith Holofernes, ihre Stimme und ihre Texte begleiten mich seit knapp 20 Jahren, sind immer wieder an verschiedenen Orten und Zeitpunkten meines Lebens aufgetaucht. Und als wir vor ein paar Jahren bei Amanda Palmer auf dem Konzert waren, war Judith auch da. Hab mich nicht getraut, sie anzusprechen.

Jetzt also gibt es das Buch von Judith, vorgelesen von Nora Tschirner. Das ist einerseits total verständlich, weil Judith gut auf ihre Stimme achten muss, andererseits vermischen sich in einem Kopf Judith und Nora andauernd. Das Buch zu hören ist wie den zweiten Akt eines Filmes zu sehen, in dem Akt Eins aus einer anderen Perspektive nochmal erzählt wird. Also zurück in meine Jugend, zurück in die Momente, an denen ich die Helden zum ersten mal gehört habe und wo sie Teil meiner Erinnerung geworden sind, nur eben jetzt aus der Sicht von Judith.

Das ist spannend und nostalgisch und oft auch ernüchternd. Weil es hinter den Kulissen nie nur Liebe und Friede und so ist. Manchmal habe ich Tränen in den Augen und einige Male denke ich, Scheiße, dieses Gefühl kenne ich allzu gut.

Judith schreibt direkt und persönlich und ehrlich. Das macht viel des Buches aus. Manchmal denke ich, wenn ich beispielsweise Pola wäre, ihr Mann, dann würde ich mich von manchen Aussagen angegriffen fühlen. Aber vielleicht ist das der Preis für ein Buch, das mich auf so vielen Ebenen berührt.

Großen Respekt für diese Frau, ihr Tun und dieses Buch. Eines, das jede:r in jeder Art von Kulturarbeit gelesen haben sollte.

Die Träume anderer Leute von Judith Holofernes wurde gelesen von Nora Tschirner und erschien bei Lübbe Audio. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Film: Maurice, der Kater

Ich mag die Bücher, die Pratchett geschrieben hat. Und obwohl ich Maurice noch nicht gelesen habe, war ich mir sicher, dass der Film nicht funktionieren wird. Der Trailer war viel zu nett, zu familienfreundlich für eine Pratchett-Verfilmung. Der Unterschied zwischen Maurice auf dem Buchcover und dem im Film fasst es ganz gut zusammen. Dazu kommt, dass der Film nur Mittags läuft, ganz eindeutig mit Kindern als Zielgruppe. Aber dann.

Ja, der Film ist mit der Zielgruppe Kinder gemacht. Und ja, Pratchett ist extrem abgemildert darin zu finden. Aber ich musste fast durchweg schmunzeln und ein paar Mal laut auflachen. Und wie bei jedem guten Kinderfilm gibt es auch hier die Ebene, die wir erst verstehen, wenn wir erwachsen sind. Und für Menschen, die sich mit Pratchett und der Scheibenwelt auskennen, gibt es ein paar schöne Easter Eggs.

Bisher es gibt es sehr wenige Filme, die das phantastische von Terry Pratchett und seiner Scheibenwelt gut einfangen konnten. Eigentlich nur Ab die Post. Während Maurice das auch nicht ganz hinkriegt, ist es trotzdem ein sehr solider Film, den man sich mit der ganzen Familie ansehen kann, auch wenn man noch nie was von der Scheibenwelt gehört hat. Und jetzt hab ich richtig Lust, das Buch zu lesen.

Maurice, der Kater, seit 9.2.23 im Kino. Danke an Telepool für die Pressetickets.