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Roman: Momo von Michael Ende

In alten, alten Zeiten, als die Menschen noch in ganz anderen Sprachen redeten, gab es in den warmen Ländern schon große und prächtige Städte.

Der erste Satz aus Momo

Vor langer Zeit in einem warmen Land taucht da plötzlich dieses Mädchen auf, mit großen schwarzen Locken und großen schwarzen Augen, die dir direkt in die Seele gucken, wenn sie dir zuhört.

Momo ist vor 40 Jahren veröffentlich worden, schon damals als zeitloses Märchen und das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum dieses Buch auch heute noch so gut funktioniert. Weil wir heute mehr denn je in einer Welt leben, in der Zeit und Aufmerksamkeit immer knapp sind. Und wie bei jedem guten Kinderbuch resoniert es auch nach all den Jahren immer noch in mir.

So viele Gedanken, die Michael Ende sich vor 40 Jahren gemacht hat, sind immer noch relevant, spielen in meinem normalen Alltag eine Rolle. Ich wünsche mir eine Momo in meinem Leben und ein bisschen mehr von Momo in mir. Und die Stärke, mich gegen die grauen Herren zu stemmen, in welcher Form auch immer sie kommen.

Momo von Michael Ende erschien bei Thienemann.

Roman: Nordstadt von Annika Büsing

„Ich liebe dich“, sage ich.

Der erste Satz aus „Nordstadt

Ich hätte nicht freiwillig zum Buch gegriffen. Titel und Cover haben mich nicht angesprochen und mit Steidl habe ich bisher andere Bücher in Verbindung gebracht. Aber im Rahmen meiner Juryarbeit bei Das Debüt lag dieses kleine Büchlein plötzlich auf meinem Tisch. Also dann, aufgeschlagen.

Ich hab die Lektüre zwar ein paar Mal unterbrechen müssen, aber tatsächlich fühlt es sich an, als ob Annika Büsing mich mit ihrer Geschichte und ihrer Sprache vollkommen in den Bann gezogen und nach einem wilden Ritt wieder ausgespuckt hat. Nene ist Anfang 20 und Bademeisterin, und das ist vielleicht das einzig Gute in einem richtigen Scheißleben. Und dann steht da Boris, der Krüppel mit einem eigenen Scheißleben. Reicht das, was auch immer zwischen ihnen ist, um zwei schlimme Vergangenheiten auszuhebeln?

Büsings Sprache ist direkt und dreckig, ist ehrlich und schmerzhaft im besten Sinn.

Nordstadt geht unter die Haut und beschäftigt mich noch Wochen später. Ich freue mich auf mehr solcher Geschichten und auf noch mehr von Annika Büsing. Ein Glück ist das neue Buch schon draußen.

Nordstadt von Annika Büsing erschien bei Steidl. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Hörbuch: Fairy Tale von Stephen King, gelesen von David Nathan

Ich bin mir sicher, dass ich diese Geschichte erzählen kann.
Sicher bin ich mir allerdings auch, dass niemand sie glauben wird. Das macht nichts. Es reicht mir, sie zu erzählen. Das Problem – das bestimmt viele Schriftsteller haben, nicht nur Frischlinge wie ich – ist nur: Wo anfangen?

Der erste Absatz aus Fairy Tale

Eigentlich geht es nur um die Liebes eines Menschen zu einem Hund und was er für ihn auf sich nimmt. Zumindest ist es für mich so, der nun seit knapp einem Jahr mit einem Hund zusammenlebt.

Charlie lebt mit seinem Vater in dieser kleinen Stadt und wäre wohl immer nur an dem alten verfallen Haus vorbeigelaufen, wenn er nicht eines Tages das Jaulen von Radar gehört hätte. Der Hund macht ihn auf seinen Besitzer Howard aufmerksam, der von der Leiter gefallen ist und Hilfe braucht. Howard ist Einsiedler und wäre es wohl bis zum Ende geblieben, wenn Charlie nicht in sein Leben getreten wäre. Das erste Drittel des Buches verfolgen wir, wie Charlie und Howard gute Freunde werden und Radar sich in Charlies Herz schleicht. Ein Drittel lang sind wir in unserer Realität mit einer leichten Ahnung des dunklen Märchens, das folgt. Und wie es folgt.

Manchmal hab ich mich gefragt, ob es nötig ist, diese erste lange Drittel, dass sich wie ein sehr sehr langer Vorspann anfühlt. Besonders, wenn man den Klappentext liest, der diesen auf einen Satz reduziert. Aber ich höre David Nathan wirklich gerne zu, wie er mir Charlie und seine Welt näher bringt. Also ist das vollkommen in Ordnung. Und es bereitet mich auf die Welt vor, die danach kommt. Hätte ich nicht gebraucht, weil ich ja weiß, worauf ich mich einlasse, wenn ich Stephen King höre. Aber trotzdem ganz schön. Auch, weil es das Märchenhafte so gut in unsere Realität einwebt.

Ich mag Fairy Tale. Unter anderem, weil ich David Nathan mehr als 27 Stunden zuhören kann. Ich weiß nicht, ob ich ihn allen empfehlen kann. Aber wen du Lust hast auf Realität plus X, in die du eine ganze Weile eintauchen kannst, viel Spaß!

Fairy Tale von Stephen King wurde übersetzt von Bernhard Kleinschmidt, gesprochen von David Nathan und erschien bei RandomHouse Audio. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Roman: Morgen, Morgen und wieder Morgen von Gabrielle Zevin

Bevor Mazer sich als Mazer neu erfinden sollte, war er Samson Mazer, und davor hieß er Samson Masur.

Der erste Satz aus Morgen, Morgen und wieder Morgen

Sadie und Sam lernen sich im Krankenhaus kennen, er mit kaputtem Bein, sie als Besucherin, beides Kinder, beide gelangweilt. Aber da ist die Nintendo im Wartezimmer. So beginnt diese Freundschaft zwischen den Beiden und dann begleiten wir sie über Jahrzehnte. Inklusive aller Tiefen, Missverständnisse und ungesagter Dinge.

Für mich war es das Schönste, die Freundschaften in diesem Buch zu begleiten, wie sie in den Jahren auseinanderdriften und wieder zusammenkommen. Wie oft ich gedacht habe, „ich kenne das so sehr“.

Ich hab die Geschichte gern und schnell gelesen, mehr als 550 Seiten, die wir mit Sadie und Sam und Marx und all den anderen verbringen, plus Videospiele und dieses nostalgische Erkennen von Dingen aus den 90ern. Macht Spaß, aber schmerzt genauso, wenn das Leben den Leuten Schicksalsschläge vor die Füße wirft. Und dann klappst du das Buch zu und bist irgendwie traurig, weil es rum ist.

Was mich ein wenig stört, im Buch, aber auch in der Diskussion um das Buch, dass es heißer gekocht wird, als es eigentlich ist. Auf dem Klappentext steht „Rivalitäten“, im Buch kommen Phrasen wie „[…]aber zu dem Zeitpunkt haben sie schon Jahre nicht mehr miteinander gesprochen[…]“. Ja, Sadie und Sam reden manchmal nicht miteinander. Und wir können das alle nachvollziehen, weil wir solche Situationen auch haben. Das macht die Geschichte ja so gut. Aber es ist nie diese Rivalität, nie dieses ganz große Auseinanderbrechen, dass angedeutet wird.

Hätte nicht sein müssen. Trotzdem: Tolles Buch und ich bin gespannt auf die Verfilmung.

Morgen, Morgen und wieder morgen von Gabrielle Zevin wurde übersetzt von Sonia Bonné und erschien bei Eichborn. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Roman: Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck

Vielleicht liegen noch viele Jahre vor ihm, vielleicht nur noch ein paar.

Der erste Satz aus gehen, ging, gegangen.

Als Gehen, ging, gegangen 2015 rauskam, wusste ich irgendwann, dass es in dem Buch um Geflüchtete geht. Ich wollte nicht noch ein Buch über das Schicksal und Trauma einer Familie lesen und das Cover hat mir auch überhaupt nicht gefallen. Dazu kam, dass es ganz viele ganz überschwängliche Meinungen zu dem Buch gab, was mich manchmal eher abschreckt, etwas zu lesen, zu gucken, zu hören.

Aber dann war ich ohne genügend Lesestoff unterwegs und ziehe neben funny girl auch dieses Buch aus dem Bücherschrank und denke, warum nicht.

Richard ist emeritierter Professor, verwitwet und hat nichts mehr zu tun, als er auf die Gruppe an Geflüchteten aufmerksam wird, die am Alexanderplatz in einen Hungerstreik gegangen sind. Er versteht nicht ganz, was da passiert und warum sie sich so verhalten. Aber er hat ja Zeit, warum das nicht als Forschungsprojekt angehen?

Das Spannende an Gehen, ging, gegangen ist genau dieses Setting. Erpenbeck geht (erstmal) nicht den Weg der größten Emotionalität, sondern lässt Richard sich genau die Fragen stellen, die sich wohl viele gestellt haben. Nur dass Richard sich tatsächlich mit den Geflüchteten auseinandersetzt, stellvertretend für uns.

Ich hatte mit dem Anfang des Romanes meine Schwierigkeiten. Einerseits war er ganz anders, als ich dachte. Andererseits wollte ich ja eigentlich keinen Roman über einen sehr deutschen Rentner lesen. Aber mit ihm kommen wir den jungen Männern nahe, die er besucht und mit denen er seine Gespräche führt. Kommen ihren Erfahrungen, ihren Träumen und ihrem Wesen näher. Auf eine Art, wie ich es nie erwartet habe. Weil ich dem alten Rentner irgendwie doch ähnlicher bin als ich dachte.

Leider ist Erpenbecks Buch immer noch aktuell. Eine Geschichte über Menschlichkeit, wie sie uns im Alltag verlorengeht und wie wir sie wieder finden können.

Gehen, ging, gegangen von Jenny Erpenbeck erschien bei unterschiedlichen Verlagen, die Taschenbuchausgabe bei Penguin. Bücherschrankfund.