Schlagwort: Suhrkamp (Seite 1 von 2)

Buch: Multiple Choice von Alejandro Zambra

Kreuzen Sie bei Übung 1 bis 24 das Wort an, das sinngemäß nicht zum Oberbegriff oder zu den anderen Wörtern passt.

der erste Satz aus Multiple CHoice.

Ich habe bisher nichts von Alejandro Zambra gelesen und ich sah und mochte das Cover von Anfang an, aber dachte, dass sich dahinter Lyrik befindet, mit der ich nie so viel anfangen kann.

Stattdessen macht Zambra hier weder Prosa, noch Lyrik. Er nutzt den chilenischen Zulassungstest für Universitäten als Vorlage für ein poetisches Spiel.

Ich habe Zambra und sein Buch ernst genommen, mich mit Stift an das Buch gesetzt und die ‚Aufgaben‘ tatsächlich gelöst. Oft angekreuzt, manchmal kommentiert, manchmal erweitert. Dabei geht es nicht nur um das Ausstreichen von Worten, sondern auch um überflüssige Sätze, die Reihenfolge von Sätzen innerhalb eines Textes, Lückentexte und Leseverständnis.

Multiple Choice ist ein schmales Buch, aber es ist intensiv, und ernst und nachdenklich und gleichzeitig extrem witzig und intelligent gemacht.

Schon lange habe ich mich nicht mehr so sehr mit einem Buch auseinandergesetzt, habe einen Inhalt so sehr verarbeitet und gleichzeitig so viel über mich selbst gelernt.

Nicht nur Zambra und Chile sind mir nahe gekommen, sondern eben auch ich mir selbst. Ein wunderschönes Beispiel, was Literatur auch heute noch leisten kann und eines meiner Highlights diesen Jahres.

Multiple Choice von Alejandro Zambra wurde übersetzt von Susanne Lange und erschien bei Suhrkamp. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

zwischen/miete: Lesung mit Philipp Weiss mit „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen in Stuttgart

Die zwischen/miete des Stuttgarter Literaturhauses veranstaltet Lesungen in WGs und Wohnungen, ähnlich wie die Salonlesungen des Stuttgarter Schriftstellerhauses. Ist schon eine schöne Sache, so eine Lesung in einer WG zu erleben. Ist nochmal eine ganz andere, eine Lesung in der eigenen Wohnung zu machen.

Vor knapp zwei Monaten haben wir die Türen für einen Abend über Annette Kolb geöffnet, nun saß Philipp Weiss bei uns auf dem Sofa. Der Wiener Lyriker hat bei Suhrkamp seinen „Roman“ Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen veröffentlicht, ein Schuber mit fünf Büchern und mehr als 1000 Seiten, ein Mammutwerk. Und ich war ziemlich skeptisch. Weil ich mich mit Lyrik schwer tue. Weil spannende Konzepte oft an der Umsetzung scheitern. Weil ich zwar immer wieder gern Dinge aus dem Suhrkamp-Verlag lese, manches aber überhaupt nicht in mein Leseempfinden passt. 

Aber dann steht Philipp bei uns in der Wohnung, ein zurückhaltender Mann, der schon beim Eintreten eine sanfte Augenhöhe ausstrahlt. Ich führe ihn rum und wir reden über das Schreiben und Träume und die Wohnsituationen in Stuttgart und Wien, während sich die Wohnung um uns herum füllt.  Kurz vor 20 Uhr müssen wir Menschen nach Hause schicken, weil die Leute bis auf den Flur sitzen und es keinen Platz mehr gibt. 

Alle sitzen eng aneinander und mit angewinkelten Beinen auf dem Boden und dem Tisch, nur Philipp Weiss und die Moderatorin Sandra Potsch haben das Sofa für sich. Boxen stehen im Flur und in den anderen Räumen und Philipp spricht so sanft und zurückhaltend, wie er es ausstrahlt. Mit feinem Witz und leichtem Wiener Einschlag erzählt er Entstehungsgeschichte und Idee des Romans, bringt uns zum lachen und regelmäßig zum Schmunzeln. Sandra Potsch spielt ihm zu, baut Vorlagen für das nächste Bild, das Philipp aufmacht und hilft dabei, die lockere und warme Atmosphäre aufzubauen. 

Die Lesung selbst ist ein Hörspiel, ein durchkonzeptioniertes Springen zwischen den Bänden und Philipp liest nicht, er performt. Jeder Charakter eine eigene Stimme und eigene Spreche, sogar die Haltung auf dem Sofa ändert sich, wenn er von einem Buch zum nächsten wechselt. Er schafft es nicht nur, uns einen Einblick in das ganze Werk zu geben, er zeigt nebenher, wie sehr die verschiedenen Bücher, die insgesamt diesen Roman ergeben, miteinander verwachsen sind. 

Ich war sehr skeptisch und bin vollkommen überrascht. Positiv befriedigt. Vom Abend, von Philipp und von seinem Roman. Sieht so aus, als dass ich ihn doch noch lesen muss.

Gedichte: Hold Your Own von Kate Tempest

Die erste Strophe aus Hold Your Own:

Picture the scene:
A boy fifteen.
With the usual dreams
And the usual routine.

Lyrik und ich, wir werden echt selten warm. In meinem Sprechkunststudium bin ich immer wieder mit ihnen in Kontakt gekommen. Wenn es gefunkt hat, dann richtig. Aber das passiert eben nicht oft. Ich möchte Geschichten lesen und diese fehlen mir bei Lyrik oft. Ich habe Hold Your Own gelesen, weil ich von dem Roman von Kate Tempest sehr mochte. Ich weiß von ihren Songs, dass dort die Protagonisten des Romans wieder auftauchen. Ich hoffte, das sei auch hier der Fall. Ist es nicht, zumindest nicht direkt. Aber man liest aus ihren Gedichten das selbe Milieu heraus, die gleichen Probleme, die gleichen Themen.

Aber eben in Gedichten. Wenn ich die Geschichte in ihnen finde, funktioniert das für mich. In seltenen Fällen, wenn ich nur die Atmosphäre spüre. Es gibt Sätze, Passagen oder ganze Gedichte, die ich mag.

http://wasuebrigbleibt.tumblr.com/post/153182242812/the-world-is-getting-stranger-every-day-youre

Aber größtenteils bin ich darauf zurückgeworfen, wenigstens den Flow zu spüren, den Rhythmus, der den Originalfassungen so stark inne wohnt, dass man nicht drumherum kommt, ihn zu spüren. Dies ist das Tolle an dieser Version: Man bekommt die Originalfassung neben der deutschen Übersetzung. Leider kommt diese überhaupt nicht an das Original ran. Ich ahne, wie schwer Lyrikübersetzungen sind. Diese reicht, um mal etwas nachzusehen, was man im englischen nicht versteht, aber sie ist in keiner Hinsicht ein Ersatz.

Ich werde mir wohl keine Gedichte mehr von Kate Tempest durchlesen, da warte ich lieber auf ihren nächsten Roman.

Hold Your Own von Kate Tempest wurde übersetzt von Johanna Wange und erschien bei suhrkamp. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Roman: Blauschmuck von Katharina Winkler.

Der erste Satz aus Blauschmuck:

Wir Kinder sind eine Herde.

Blauschmuck kommt mit einem so schönem Cover, das mich das Buch sofort in die Hand nehmen lässt. Aber die Geschichte einer türkischen Frau, einer türkischen Ehe voller Gewalt hatte mich nicht angesprochen, weshalb ich nicht vorhatte, es zu lesen. Aber dann habe mich so viel positives gehört und gelesen, dass ich dachte, gib dem Buch eine Chance.

Ein guter Gedanke, denn Katharina Winkler erzählt mit einer Wucht. Es ist immer noch die leider viel zu oft gehörte Geschichte von Gewalt in einer Ehe, oft einem nicht durchschaubarem System von Ehre geschuldet. Aber Katharina Winkler erzählt diese Geschichte einer einzigartigen Sprache, einer sehr verkürzten, lyrischen und unglaublich bildhaften Sprache. Ein Beispiel, der „Blauschmuck“, das sind die blauen Flecken, welche die Frauen an verschiedenen Stellen ihres Körpers tragen. Katharina Winkler greift dabei nicht auf abgedroschene Bilder, Symbole und Metaphern aus der deutschen Sprache zurück, sondern verwendet für meine Ohren, für mein Leseempfinden neue Bilder, extrem poetisch. Eben diese  Bildhaftigkeit bringt mir den brutalen, den gewaltsamen Inhalt viel näher, als es eine nüchterne Beschreibung der Tatsachen.

http://wasuebrigbleibt.tumblr.com/post/142888550717/die-zeit-wird-schwächer-täglich-soll-sie-einen

Es ist ein schmales Buch, manche Seiten sind nur zum Drittel beschrieben und in zwei Bahnfahrten ist man durch. Aber kaum ein anderes Buch hat noch so lange in mir nachgehallt. Schon beim lesen und lange danach war ich aufgewühlt und wütend und wusste aber nicht, auf wen ich wütend sein soll. Auf Yunus, den gewaltvollen Mann in der Geschichte? Auf ein Land, eine Tradition, eine Kultur in der so ein Rollenbild, so ein Begriff von Ehre kultiviert wird? Auf der anderen Seite, solche Männer, solche Traditionen gibts es in allen anderen Ländern auch.

Im besten Fall hinterfragt der Roman anhand grundsätzlich Rollenbilder und Traditionen, an einem Beispiel einer türkischen Ehe. Leider kann man dieses Beispiel aber auch als „Warnung vor der Islamisierung“ nutzen. Was auch immer eine Islamisierung sein soll.

Eine Sache, die mich nicht an der Geschichte, aber am Buch gestört hat, sind die offenen Fragen. Im Klappentext und auf den ersten Seiten steht explizit, „Dies ist eine wahre Geschichte“. Nach der Lektüre gibt es noch einen Abriss, wie es mit Filiz, der Protagonistin, weitergegangen ist. Und es ist ganz klar, dass es nicht die Geschichte von Katharina Winkler selbst ist. Dann frage ich mich aber, woher sie diese Geschichte kennt, wie sie dazu kommt, sie aufzuschreiben. Die Antwort darauf erzählt sie natürlich in vielen Interviews, warum sie nicht in einem kurzen Abschnitt noch im Nachwort erwähnt wird, verstehe ich nicht.

Ich will nicht sagen, es ist ein gutes Buch, weil das in mehrerer Hinsicht die falsche Bezeichnung für diese Geschichte wäre. Es ist ein krasses, und sehr lesenswertes Buch.

Blauschmuck von Katharina Winkler erschien bei Suhrkamp. Der Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Roman: Kings of London von William Shaw

Der erste Absatz aus Kings of London:

De Gaulle wurde wiedergewählt. Robert Kennedy erschossen.Die Amerikaner kommen in Vietnam nicht weiter und stellen sich hinter Nixon. Die Sowjets haben Panzer nach Prag geschickt. Es ist Herbst 1968. Und London bleibt London. Obwohl es schon den ganzen Sommer über geregnet hat, regnet es immer noch.

Wir tauchen wieder ein in das London der 1960er. Wieder begleiten wir die Polizisten Breen und Tozer nach einem Fall, wie schon bei Abbey Road Murder Song. Und diese beiden Sachen, machen den Roman so schön.

Krimis gibt’s in rauen Mengen. Kann man mögen, lieben oder uninteressant finden. Hier geht es aber neben dem eigentlichen Krimi eben auch um die beiden Menschen und ihre Beziehung, was nochmal cooler, aber auch nicht einzigartig ist. Zusätzlich und am eindrücklichsten sind daher die Schilderungen des Alltags in London 1968.

Klar kenne ich die Musik aus der Zeit, kenne die Busse, die Farben, die Klamotten und das Lebensgefühl der einen Seite, und mag es. Shaw schafft es aber, mir neben dem klischeehaften und oft positivem Bild des Swinging London und der aufsteigenden Hippie-Ära plötzlich die andere, die düstere und realistische Seite zu zeigen, die der Arbeiter und einer in jeder Generation festgefahrenen Gesellschaft. Und weiter noch zeigt er mir all die Ecken und Kanten innerhalb des Swinging London, zeigt mir, dass nicht alles geil und schön und neu war, sondern eben auch anstrengend und manipulativ und verstörend und gewaltsam.

Der Krimi in Kings of London läuft bei mir nebenher. Aber das Zwischenmenschliche und Shaws Abbild von 1969, extrem lesenswert. Ich freue mich auf den letzten Teil der Trilogie, kommt Ende des Jahres.

Achja, Kleinigkeit, aber: Während das Cover und die CI sehr schön sind, verstehe ich zwei Sachen nicht: Warum wird der englische Originaltitel („House of Knives“) durch einen anderen englischen Titel ersetzt? Und warum macht sich keiner die Mühe, den Klappentext über den Autoren zumindest an dieses Buch anzupassen? Es ist einfach exakt der Gleiche des ersten Teils.

Kings of London von William Shaw wurde übersetzt von Conny Lösch und erschien bei Suhrkamp. Der Verlag hat mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.