Lesung: T.C. Boyle bei der LesArt in Esslingen am 22.11.17

T.C: Boyle wird dieses Jahr 69 und ich habe ihn zwar schon im Februar in Stuttgart gesehen, aber wer weiß, wie lange er noch Lesungen machen wird? Also bin ich gestern nach Esslingen auf die LesART, einem eigentlich eher kleinerem Literaturfestival, welches durch glückliche Umstände dazukommt, Boyle zu Besuch zu haben. Zusammen mit knapp 1000 weiteren komme ich also ins Neckar Forum, einer riesigen bestuhlten Halle. Ich komme kurz vor Veranstaltungsbeginn und bin so frech, mir den letzten freien Platz in der dritten Reihe zu nehmen. Zwischen der Sanitäterin und dem einen, der aussieht, als ob er beschlossen hat, heute Abend keinen Spaß zu haben. Diese Leute finde ich auf jeder Veranstaltung.

Aber wir reden von T.C. Boyle, der tatsächlich auch diesen Mann zum lachen bringt. Boyle macht sein Ding. Vor vielen Jahren sagte er mal, dass Lesungen wie Konzerte sein müssen, sie müssen unterhalten und Spaß machen. Genau das macht er bei seinen Lesungen. Natürlich wieder in roten Chucks und schwarzem Anzug und geilen Antworten auf jede Frage unterhält er viel zu kurze 90 Minuten. Was mir besonders auffällt, er zwar wieder mit Die Terranauten da, aber er macht anderes Programm, liest eine andere Stelle, erzählt ein paar andere Geschichten, beispielsweise von seinem Kurzgeschichtenband The Relive Box, der gerade in den Staaten veröffentlicht wurde und von seinem Roman über Albert Hofmann und LSD, den er im Februar erwähnt und mittlerweile beendet hat. Also keine reine Wiederholung dessen, was ich schon kenne. Guter Mann. Krasser Kopf, der extrem fit ist und sehr viele Details zur Sprache bringt, was mich immer wieder überrascht. Und jedes Mal eine Freude ist, dabei zuzusehen. Kurz, Boyle war geil. Aber.

Die Lesung auf Deutsch übernimmt Lea Ruckpaul, Schauspielerin am Stuttgarter Staatstheater mit einer eindrücklichen kratzigen Stimme. Sie liest den Text fehlerfrei vor. Aber sie kommt nicht in die Haltungen. Wie jemand, der gerade schalten lernt, ruckelten wir durch den Text, mal zu schnell, mal irritierend langsam. Verständlich, ja, aber nicht so, dass sie es dem Zuhörer leicht gemacht hat, mitzukommen.

Und moderiert wurde der Abend von Günter Keil, der geübt darin ist, Lesungen zu moderieren und für Publikum aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Ich kenne ihn bisher nicht, aber er scheint ein netter Kerl zu sein, der sich von Boyle auch nicht einschüchtern lässt. Aber Boyle ist auch nicht der Typ der einschüchtert. Gerade mit dem Wissen um Keils Erfahrungen und Referenzen bin ich erschüttert von der Moderation und den Übersetzungen. Die Aufgabe des Moderators ist, durch den Abend zu leiten, bei einer Fremdsprache dafür zu sorgen, dass sich niemand zurückgelassen fühlt und im Auftrag des Publikums alle Fragen zu stellen, die sich das Publikum stellen könnte.

Gestern aber schafft Keil eben das nicht. Viel zu oft greift Boyle ein und lenkt das Gespräch in die Richtung in, in die es gehen sollte. So erzählt er beispielsweise, wie er kurz vor dem Abflug auf die Lesereise den neuen Roman beendet hat, Keil übersetzt und stellt eine vollkommen andere Frage. Woraufhin Boyle sagt, ‚Das Publikum fragt sich wahrscheinlich, worum gehts im neuen Buch.‘ Alle Applaudieren und Boyle erzählt also von LSD und Hofmann und so. Solche Korrekturen passieren ein paar Mal. Ich glaube nicht, dass T.C. Boyle irgendjemanden auflaufen lassen will, aber es gab ein paar Situationen, in denen er Keil auflaufen lassen musste, weil wichtige Dinge sonst nicht zur Sprache gekommen wären. Weiterhin hat Keil frappierende Übersetzungsfehler gemacht.

Es ist keine leichte Aufgabe, ausschweifende Antworten und Pointen so ins Deutsche zu übertragen, dass sie funktionieren und nicht für den Großteil des Publikums redundant sind. Ich verstehe, dass man als jemand, der kein Englisch spricht, viel leider nicht mitbekommt und es auch leider nicht wirklich anders geht. Zumindest nicht ohne größeren Aufwand. Aber Keil hat gestern regelmäßig falsch übersetzt. Er spricht ihn ganz am Anfang auf die roten Chucks an und Boyle antwortet: ‚Frau Boyle told me to wear them, so I do, for 20 years now.‘ (Frau Boyle, hat mir gesagt, ich soll sie anziehen, als tue ich das. Mittlerweile seit 20 Jahren.) Keil übersetzt: „Er hat sich die Sachen in einem Laden ausgeliehen und trägt sie deshalb.“

Wie gesagt, der Job des Moderators ist kein leichter und ich verstehe auch, dass man nicht immer alles so schnell verstehen und übersetzen kann, wie man sollte. Aber das blieb kein Einzelfall, sondern zog sich durch durch den gesamten Abend. All das wäre sogar noch okay, wenn nur mir das mit geschultem Ohr auffallen würde. Aber wenn selbst die Sanitäterin, die nur halb zuhört, weil berufsmäßig da ist, von der Moderation und den (Fehl-)Übersetzungen irritiert ist, dann – so leid es mir tut – ist das ein Problem.

Schade. Aber dennoch, T.C. Boyle zu sehen, lohnt sich jedes Mal. Und ich hoffe auch noch viele weitere Male.

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Kommentare

3 Antworten zu „Lesung: T.C. Boyle bei der LesArt in Esslingen am 22.11.17“

  1. Avatar von Fons
    Fons

    Herr Neidhardt,
    ich habe gerade Ihren Bericht gelesen. Sie haben ja Recht, wenn sie sagen dass in der Uebersetzung des Moderators so manches etwas unklar klang,
    aber,
    was Sie da zu den Reds berichten, also da glaub ich, ich war doch wirklich bei einer anderen Lesung dabei als Sie.
    Soweit ich in Erinnerung habe, hat auf die Frage des Moderators zu dem speziellen Outfit, Mr. Boyle nur ganz schlicht geantwortet ‚I instructed Frau Boyle to bury me in that outfit‘. Von

    Boyle antwortet: ‚Frau Boyle told me to wear them, so I do, for 20 years now.‘ (Frau Boyle, hat mir gesagt, ich soll sie anziehen, als tue ich das. Mittlerweile seit 20 Jahren.)

    wie Sie zitieren und berichten, da hab ich nix gehört. Kann ja sein dass ich mich irre, anderseits könnte es ja vielleicht auch sein dass Sie zu sehr mit der Sanitäterin geplaudert habe und Ihr ‚geübtes Ohr‘ Sie so ausgetrickst hat.

    mit freundlichen Grüssen
    FNO

    1. Avatar von Fabian Neidhardt
      Fabian Neidhardt

      Liebe/r Frau / Herr Fons / FNO (Anonymität mach es schwer, respektvoll anzusprechen),

      schön, dass Sie meinen Bericht gelesen haben und auch auf der Veranstaltung waren. Wie gesagt, ich bin mir bewusst, dass wir von einer schweren Aufgabe als Moderator sprechen und ich kann nur wiedergeben, was ich meine, gehört zu haben.
      Vielleicht haben Sie Recht, ich habe keine Aufnahme und kann mich nur auf meine Fähigkeiten und Erinnerungen stützen. Dann haben wir derzeit drei Möglichkeiten, was T.C. Boyle in dem Moment gesagt hat.

      Ich hoffe, Sie hatten einen tollen Abend,

      Lächeln, Fabian Neidhardt

      1. Avatar von Fons
        Fons

        Ja natürlich war es ein toller Abend in Esslingen.

        Was den ‚Outfit‘ case angeht, hab ich grad auf fb-tcboyle.de was dazu geschrieben, da ich ja dort auf Ihren Bericht gestossen bin. Ich kleb Ihnen meinen Beitrag grad mal hier hin, dann brauch ich nicht noch Mal zu tippen:

        Gruss an Sie, auch mit einem Lächeln vor diesem Schirm.

        The FNO (masculinum)

        auf fb unter tcboyle.de zu finden:

        Ich hab mit Herrn Neidhardt auf seinem Blog uber den ‚Outfit‘ Fall geredet. Er meint er hätte das mit den 20 Jahren usw. aber so gehört. Ich behaupte aber noch immer, dass da nix von ’20 Jahren usw. ‚ zu hören war. Ich muss halt mal versuchen die Frau Luxemburg von der Lesart zu erreichen, denn es gab doch Kamera um den Abend aufzunehmen. Affaire à suivre, wie man in meinem anderen grossen Nachbarland sagt. Ich möchte aber trotzdem mal die Frage an die Literaturspezialisten, Spezialisten, die es ja sicher unter den tcboyle.de fb-followern gibt, in den fb-Raum werfen. Ein Moderator, ein Journalist, moderiert einen Abend und irrt sich bei der Uebersetzung, aus welchem Grund auch immer. Ein Journalist, Autor, …, im Saal kritisiert diesen Irrtum und bergründet die Kritik mit einer eigenen Übersetzung die noch verwirrender klingt als die Übersetzung des Moderators. Ist das Satire? Wenn die Antwort der Experten ‚JA‘ wäre, würde das natürlich toll zu dem Jonathan Swift Preis passen, der dem Meister letzten Sonntag in Zürich überreicht wurde. Ich glaub ich frag doch gleich mal den Herrn Charles Lewinsky, der sollte es doch wissen.

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