Spoilerwarnung: Alternative und gelöschte Szenen werden viel über den Inhalt des Buches verraten. Am besten also erst weiterlesen, wenn ihr das Buch gelesen habt. Ich werde hier immer wieder neues Material hinzufügen. Schaut also immer wieder vorbei.
Gelöschte Szene: Paris
Lisa wollte die Mona Lisa sehen, in echt.
„Mein Vater hat mich nach dem Gemälde benannt. Er hieß Leonhard und er hat immer gesagt, ich sei sein Meisterwerk. Wir waren sogar in Paris, standen vor dem Louvre. Ich konnte damals noch gerade so mit dem Stock laufen und wollte keinen Rollstuhl und wir hatten die Reise sehr spontan gemacht. Das war die letzte Chance. Aber schon am Morgen war die Schlange vor der Pyramide so lang! Nach zwei Stunden konnte ich nicht mehr.“
*
Mitte Januar, es ist kalt und klar, schneefrei und für Paris sind das wohl wenig Touristen. Ich schiebe den Vorhang in meinem Hotelzimmer zur Seite. Unter mir verläuft eine zweispurige Straße, die Reihe von Bäumen rechts und links sind kahl und auf den Dächern der Autos spiegelt sich die Sonne. Mir ist klar, dass es nicht darum geht, die Mona Lisa zu sehen. Ich muss sie tatsächlich betrachten, ich muss Paris erleben. Ich muss hier ankommen.
Ich verbringe jeden Morgen in einem Café. Wenn die Kälte es zulässt, sitze ich draußen, manchmal in Decken gehüllt, manchmal unter Heizpilzen oder in den warmen Pavillons, die vor den Läden stehen. Ich studiere die Karten und das Interieur und teste Getränke, die ich nicht kenne, bis mir immer wieder aufs neue einfällt, dass ich keine der neuen Ideen mit in den Türrahmen nehmen kann.
Ich spaziere über Kopfsteinpflaster, Asphalt und Gras, unter dem Eiffelturm hindurch, am Triumphbogen und Notre-Dame vorbei und wenn ich irgendwo Menschenschlangen sehe, nehme ich einen anderen Weg.
Einen Tag verbringe ich auf dem Père Lachaise. Die von Bäumen gesäumten Gassen führen an den Stätten vorbei, verwittert und oft mehr als nur ein Grab, der Friedhof ist weitläufig und friedlich, wie ein Viertel nur für Tote. Selbst hier tummeln sich Touristen, bei Wilde, bei Piaf, bei Morrison.
Ich komme immer wieder am Louvre vorbei, beobachte die Menschen, wie sie langsam an den Absperrungen entlang um die Pyramide trotten. Ich weiß, ich werde die Mona Lisa niemals für mich alleine haben.
An meinem letzten Tag gehe ich an den Grundmauern der alten Burg und der umgedrehten Pyramide vorbei, durch das Carrousel du Louvre zum Nebeneingang und bin, obwohl das Museum noch nicht geöffnet hat, trotzdem nicht der erste.
Ich eile in den ersten Stock, dem Lächeln hinterher, das den Weg weist, vorbei an allen anderen Gemälden bis in den Saal, an dessen Ende eine Extrawand steht. Mittig, ganz alleine und hinter Glas hängt dort die Mona Lisa.
Eine extra Absperrung, ich komme nur auf etwa zwei Meter an das Gemälde ran. Ich stehe wenigstens in der ersten Reihe.
Ich betrachte den goldverzierten Rahmen, das darin liegende Bild und meine Spiegelung im Sicherheitsglas. Der Hintergrund könnte auch eine Zeichnung von Mordor sein, wie es vor Frodo und Sam liegt, eine düstere zerklüftete Landschaft im Nebel. Mir ist nie aufgefallen, dass sie auf einem Balkon sitzt, erst jetzt erkenne ich die Balustrade und die Säulen. Ich sehe mir die Frau genau an. Der fast transparente Stoff über ihren Haaren, die scheinbar fehlenden Augenbrauen und ihr Arm auf der Lehne. Sie sieht mich an und lächelt. Und es löst überhaupt nichts in mir aus.
Es ist überraschend klein, das Gemälde. Nett, keine Frage, aber mehr irgendwie auch nicht. Die Leute neben mir schießen Fotos, manche haben die Kopfhörer des Audio-Guides auf und machen ziemlich schnell Platz für andere. Ich bleibe noch ein wenig länger, dann trete ich einen Schritt zurück und sofort rückt jemand nach.
Den Rest des Tages sehe ich mir französische Gemälde, griechische Büsten, römische Statuen und ägyptische Inschriften an und je später es ist, desto größer wird der Pulk um die Mona Lisa. Kurz bevor das Museum schließt, stehe ich wieder bei ihr, diesmal seitlich und weiter hinten. Sie sieht immer noch mich an und lächelt. Ich nicke ihr zu, dann ziehe ich das Notizbuch aus der Tasche und streiche Lisas Zeile durch.
Ich fühle mich nicht groß und erhaben, keine Dankbarkeit, kein erkämpfter Sieg. Aber ich bin hier. Auf dich, Lisa. Und deinen Vater.
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